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Dear Diary, Seite 5: Ich bin neu verliebt

Eine Ode an das Leben, das so schön sein kann, nachdem es erst mal scheiße war

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Alles kam, wie es nicht sollte

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass er vermutlich jeden Morgen zur selben Tasse greift. Dass er seine Zähne nach einem ganz bestimmten Schema putzt. Dass er sich vielleicht in der Dusche immer erst den Brustkorb, dann die Arme, den Bauch und erst zum Schluss Beine und Rücken einseift. Die meisten von uns haben sicherlich sogar eine gewisse Reihenfolge was das Öffnen ihrer Apps angeht, die sie durchscrollen, wenn sie mal wieder die Flucht ins Digitale packt. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere – von großen Entscheidungen bis zu den ganz, ganz kleinen, die sich nahezu nichtig anfühlen. Unser Handeln folgt oft einem Schema F, weil wir Kontrolle lieben. Ein Gerüst, einen Rahmen, ein Auffangnetz, das uns ein Gefühl von Sicherheit und Komfort vermittelt. Aber die Wahrheit lautet wie folgt: Kontrolle ist eine Illusion.

Diesen Text da oben tippte ich vor fünf Monaten in die Notizen-App meines Handys, während ich eine lange Zugfahrt vor mir hatte und gerade dabei war, meine Wunden zu lecken. Es sollte das Intro eines Textes darüber sein, wie einem von jetzt auf gleich der Boden unter den Füßen weggezogen werden kann. Wie machtlos man doch manchmal ist, selbst wenn man der kontrollierteste, alles-im-Griff-habende Mensch ist, der ich meistens bin. Wie sich das Leben von jetzt auf gleich verändern kann, von einem auf den nächsten Wimpernschlag alles anders sein kann.

Ich wollte einen richtigen Spannungsbogen aufbauen, meine Worte auf Papier bluten, meinem Schmerz darüber, dass mich eine wichtige Person hintergangen hatte und mich zerschmettert zurück ließ, Ausdruck verleihen. Um dann am Ende irgendeinen Lichtschimmer zu finden, den Text zu beenden mit einer Art hoffnungsvollem Spruch oder sowas, eine hoffentlich sich selbst erfüllende Prophezeiung darüber, dass schon wieder alles irgendwie gut werden würde. Ich wollte irgendetwas kreieren, mit dem sich alle Leidenden identifizieren können, um mich dann mit Nachrichten wie "Wow, mir geht es genau so scheiße, danke, dass du mir das Gefühl gibst, damit nicht alleine zu sein" beschmücken zu können.

Stattdessen schloss ich die Notizen-App, legte das Handy beiseite und ließ den Blick aus dem Zugfenster schweifen, vorbei an den schier endlos grünen Landschaften Richtung Süddeutschland. Und in diesem Moment beschloss ich, dass ich nicht weiter meine Wunden lecken wollen würde. Dass ich es nicht einsah, schon wieder zu leiden, mich darin zu suhlen, dass doch immer die aufrichtigsten Menschen verletzt werden. Ich beschloss, dass Grämen zwecklos ist. In diesem Moment nahm ich meine Verletzung und Wut über eine Trennung, die ich nicht kommen sah, hin und machte sie zu etwas anderem: einer Chance.

Fast Forward To Now

Es ist jetzt Mitte August, hier sitze ich, im warmen Sonnenlicht des Sommers – des Sommers meines Lebens. Seit diesem oben beschriebenen Moment im Zug und dem festen Entschluss, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen, war jeder Tag immer noch ein kleines Stück schöner als der vorige. Ich wollte mich unbedingt wieder verlieben, neu verlieben. In mich, die in den Monaten zuvor unbemerkt und ganz leise schleichend zu einer krummen, unauthentischen und verworrenen Version ihrer Selbst wurde. In meine Freunde und Freundinnen, von denen ich manchmal gar nicht mehr wusste, wer sie überhaupt sind, weil ich zu beschäftigt war mit meinem krummen, unauthentischen und verworrenen Alltag. In meine Leidenschaft als Kreative, als Autorin, die ich im stumpfen Tag-zu-Tag einfach irgendwie verloren hatte. Ich wollte mich neu verlieben in die ganz kleinen und die ganz großen Dinge meines Lebens; neu verlieben in das Leben.

Und so tat ich genau das. Kein Geheimrezept, kein Einmaleins, keine Anleitung für das perfekte Glück. Ich machte einfach. Zog mal wieder mit meinen Liebsten um die Häuser, genehmigte mir den ein oder anderen Drink zu viel, gab einen Fick auf die perfekte Ernährung und den perfekten Schlafrhythmus und ließ einfach mal locker. Gott, wann war ich das letzte Mal locker? Wenn Kontrolle sowieso eine Illusion ist, warum mich also länger mit der Illusion rumschlagen, ich hätte alles zu jeder Zeit immer ganz fest im Griff?

Ich besorgte mir wieder ein Hobby – Schlagzeugunterricht –, wogegen ich mich so lange gesträubt hatte, weil ich das Bild einer erwachsenen Frau, die nach 15 Jahren das erste Mal wieder Drum Sticks in die Hand nehmen und völlig hilflos sein würde, lächerlich fand. Ich brezelte mich jeden Tag auf, weil ich es verdammt nochmal verdiene, mich gut zu fühlen und das ins Außen zu tragen. Ich gönnte mir die Designer-Sachen, weil ich es kann und nicht dafür arbeite, jeden Cent sauber zu stapeln für ein Morgen, das nicht garantiert ist.

Ich tanzte, weinte, kuschelte und feierte mit meinen Freund:innen. Lachte, bis mir der Bauch wehtat. Oh, wie wir gelacht haben! Ich fing an, jedem noch so kleinen und flüchtigen Glücksgefühl, das sich gerade in mir auftat, Ausdruck zu verleihen. Und immer öfter war das Glücksgefühl plötzlich gar nicht mehr so flüchtig. Und während ich nicht mehr damit beschäftigt war, mich der Schwere des Lebens zu widmen, wurde das Leben ganz leicht. Und während das Leben ganz leicht war, fand ich die Liebe wieder und die Liebe fand mich.

Ich habe es geschafft, ganz offiziell und hier für jede:n festgehalten: Ich habe mich neu in das Leben verliebt. In mich. In meine Freund:innen. Und auch in einen Mann.

Und die Moral von der Geschicht'? Lieb das Leben und es liebt dich zurück.

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