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Die zwei Herzen in meiner Brust

Was die Revolution im Iran in mir auslöst

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„If I stand up

and you stand up

all will stand up

If I sit down

and you sit down

who will stand up?”

– Hamid Mossadegh

Vor einigen Jahren saß ich bei einem Psychiater, zu dem mich meine Eltern geschickt hatten, weil es mir sehr schlecht ging. Ich hatte unter anderem Probleme mit meiner Identität. Er fragte mich nach meiner Familie und ich erzählte ihm, dass meine Mutter Iranerin ist. „Das bedeutet, in Ihrer Brust schlagen zwei Herzen“, erwiderte er daraufhin. Ein Satz, der sich seither in meinen Kopf eingebrannt hat wie kein zweiter. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, denn ich hatte es vermieden, mich mit meinen persischen Wurzeln auseinanderzusetzen. Über den Iran nachzudenken war für mich mit viel Schmerz verbunden.

Zweimal bin ich als Kind mit meiner Mutter in den Ferien nach Teheran gereist. Mit neun Jahren habe ich das erste Mal meine Familie dort kennengelernt. Menschen, von denen ich bislang nur die Stimmen am Telefon gehört hatte, empfingen mich so herzlich, als ob ich in ihrer Mitte großgeworden wäre. Mir eröffnete sich damit eine Welt, die mir zwar fremd, aber gleichzeitig auch sehr vertraut war. Ich verliebte mich sofort in das Land. Am liebsten wäre ich bei jeder Gelegenheit nach Teheran geflogen.

Als 2009 die grüne Bewegung im Iran stattfand, äußerte sich meine Mutter regimekritisch. Sie landete damit in der Zeitung und folglich war klar: Sie wird nicht mehr in den Iran einreisen können. Es ist zu gefährlich, das Risiko inhaftiert zu werden ist zu groß. Da ich nur den deutschen Pass besitze, hätte ich theoretisch einreisen können, ohne etwas befürchten zu müssen. Doch in ein Land zu reisen, von dem du weißt, dass es deine eigene Mutter verhaften und foltern könnte, fühlt sich in jeder Hinsicht falsch an. Also flog auch ich nie wieder dorthin.

Über den Iran, über meine persischen Wurzeln, dieses „zweite Herz“ in meiner Brust nachzudenken, bedeutete, darüber nachzudenken, dass ich nur vage Erinnerungen an den Geruch von Teherans Straße hatte. Es bedeutete, darüber nachzudenken, dass Mama sich aus tiefstem Herzen wünschte, ihre Oma noch einmal im Leben sehen zu können und gleichzeitig zu wissen, dass das unmöglich sein wird. Es bedeutete, mich mit meiner Rolle als Frau in einer Gesellschaft auseinanderzusetzen, in der ich alle Freiheiten habe und gleichzeitig gefangen zu sein in generationsübergreifenden Ängsten, die Frauen in meiner Familie mit sich tragen. Ängste, die ich von ihnen geerbt habe.

Sobald Mama und ich am Küchentisch über den Iran sprachen, endete das Gespräch meistens in einem: „Lieber Gott, mögen die Mullahs das Land endlich freigeben“. Nun befinden wir uns mitten in einer Revolution. Eine Revolution, von der ich dachte, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis wir sie erleben. Persische Lieder, die bei meiner Mutter jahrelang im Auto liefen, höre ich nun auf Demonstrationen. Ich hatte nie richtig zugehört und die Texte nicht hinterfragt. Nun laufen sie auch bei mir zu Hause, in meiner Zweizimmerwohnung in Hamburg. Ich singe lautstark mit und muss weinen.

Ich höre mein persisches Herz lauter schlagen als jemals zuvor.

Dieses menschenverachtende Regime hat Familien auseinandergerissen und so viel Leid über dieses Land gebracht, dass das zweite Herz in meiner Brust wehtut, wenn ich darüber nachdenke. Das tue ich heute oft. Es bricht jedes Mal ein bisschen mehr, wenn ich einen weiteren Namen wie den von Jina Mahsa Amini, Nika Shakarami oder Hadis Najafi lese. Ich höre mein persisches Herz lauter schlagen als jemals zuvor. Auf den Demonstrationen von Iraner:innen und Exil-Iraner:innen umgeben zu sein, die alle Farsi sprechen, hat mich meinen Wurzeln näher gebracht. Die Revolution hat mir die Möglichkeit eröffnet, meinen Platz zu finden. Einen Platz, den ich mein ganzes Leben lang unbewusst gesucht habe. Die Revolution hat mich mein zweites Herz in meiner Brust deutlich fühlen lassen. Ich gehöre zu euch, ich fühle diesen kollektiven Schmerz.

Ich bin voller Stolz und Demut erfüllt, zu wissen, dass Teile meiner Wurzeln dort verortet sind, wo iranische Heldinnen eine Revolution anführen und sich auflehnen gegen eklatante Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen. Iranische Heldinnen, die eine Revolution anführen und dabei von ihren Brüdern, ihren Vätern und ihren Männern gefeiert und unterstützt werden. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so mutige Menschen gesehen, wie die, die derzeit auf Irans Straßen protestieren. Ein Kampf für einen säkularen Staat, angeführt von Frauen, die sich ihre Kopftücher vom Kopf reißen, diese verbrennen und „Freiheit!“ rufen. Die Menschen im Iran haben diese Willkür und Unterdrückung so satt, dass sie unter dem Risiko, ihr Leben zu lassen, auf die Straßen gehen und unermüdlich für Menschen-und Frauenrechte kämpfen.

Dies ist eine feministische Revolution und ich wünsche mir, dass sich all diejenigen, die auch sonst laut „Feminismus“ einfordern, mit diesen starken iranischen Frauen und Männern solidarisieren. Die ersten, die sich solidarisierten, waren die afghanischen Frauen, die selbst tagtäglich dem schrecklichsten Leid durch die menschenverachtende Taliban-Diktatur ausgesetzt sind. Ich empfinde Hochachtung vor so viel Integrität. Lasst es uns den afghanischen Frauen gleichtun. Lasst uns gemeinsam aufstehen und den Iran aus den Fängen der Mullahs befreien.

„Hame ba ham“ – Wir stehen auf. Alle zusammen.

Auf den Straßen Irans rufen sie: „Natarsid, natarsid, ma hame ba ham hastim“. Übersetzt: „Fürchtet euch nicht, fürchtet euch nicht, wir sind alle zusammen“. Lasst uns ihren Mut und ihre Furchtlosigkeit anerkennen, indem wir hinter ihnen stehen! Indem wir sie mit unserer Stimme unterstützen und zeigen: Ihr seid nicht alleine. Wir hören und sehen euch. Das wichtigste Signal dieser Revolution ist: „Hame ba ham“ – Wir stehen auf. Alle zusammen.

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