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Das unbequemste Interview mit Domina Manuela Freitag

Mit 12 prostituierte sie sich – heute ist sie die dienstälteste Domina der Herbertstraße

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Vor Interviews bin ich selten nervös. In den letzten Jahren interviewte ich zahlreiche Menschen – unbekannt, bekannt, berühmt. Heute ist irgendetwas anders, mein Herz klopft schneller als sonst, als ich auf den Anruf warte.

Den Anruf von Manuela Freitag, 57 Jahre alt, dienstälteste Domina auf Hamburgs berühmter Herbertstraße. Am 3. September erschien ihr erstes Buch "Herbertstraße. Kein Roman". 286 Seiten voller ungeschönter Wahrheiten über das Leben einer Frau, das viele als unkonventionell beschreiben würden:

Manuela prostituiert sich im zarten Alter von nur 12 Jahren, gelockt von der Aussicht auf großes Geld und den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben. Irgendwann reißt sie sich von Zuhältern und Freiern los, wird Domina.

Mein Herz klopft schneller, weil ich es nicht erwarten kann, zu erfahren, welche Seele sich hinter dem Lack und Leder verbirgt. Dass Frauen in dieser Branche heute noch immer von der Gesellschaft verstoßen und verurteilt werden, möchte ich nicht akzeptieren. Und als der Anruf endlich kommt und ich den Hörer abnehme, stelle ich schnell fest: Diese Frau ist stark. Furchtlos. Klug. Hat ein gutes Herz. Und nimmt kein Blatt vor den Mund – gar keins.

Hier kommt das unbequemste Interview mit Manuela Freitag.

TOMORROW: Wie viele Männer haben im Laufe deiner Karriere deine Dienste in Anspruch genommen?

Manuela: Schätzungsweise 15.000 bis 20.000. Du kannst es dir hochrechnen – ich habe mit 12 angefangen, Schwänze zu wichsen. Heute bin ich 57. Da kann ich nicht mehr mitzählen.

Du sitzt in einem Schaufenster auf der Herbertstraße und lockst dort deine Kunden an. Was passiert dann, was machst du mit den Männern in deinen Sessions?

Zum Standardprogramm gehören Nippelspiele, Eier abbinden, verbale Demütigung, Analdehnung, Rohrstock, Peitschen. Auch Natursekt und ähnliches kommt vor. Als Domina gibt’s bei mir aber keinen Geschlechtsverkehr. Es ist ein reines Spiel, mit dem Ziel, den Gast glücklich zu machen. Ab und an darf er meine Brust oder meinen Po berühren, ich laufe auch viel oben ohne rum, um ihn scharf zu machen.

Wann und womit sind deine Grenzen erreicht?

Ich mache keine Schneidearbeit mit den Gästen. Ich kann kein Blut sehen. Und selbst wenn man mir noch so viel Geld dafür bieten würde, in den Hodensack oder die Brustwarze  schneiden, würde ich nicht. Das wäre zu gefährlich. Manche Gäste stehen so sehr darauf, dass sie anbieten, Verträge aufzusetzen, um mich abzusichern. Ich mache es trotzdem nicht. Ich muss mit meinen Handlungen eins sein, sonst funktioniert das nicht.

Credit: Manuelas Studio fotografiert von Michael Philipp Bader

"Am stärksten verstört hat mich die Anfrage eines Mannes, ob ich ein lebendiges Huhn schlachten würde."

Wirst du bei deiner Arbeit selbst geil?

Nein, es erregt mich null. Es ist nicht so, als würde ich nach der Arbeit nachhause gehen und den Vibrator auspacken.

Empfindest du Ekel gegenüber manchen Gästen?

Ja. Ich bin „hart im Nehmen“ und gut ausgerüstet, aber irgendwann hört’s auf. Ich achte auf Hygiene und verlange das auch von den Gästen. Wenn ich mich zu sehr ekle, breche ich rigoros ab. Ich hatte Gäste, die forderte ich auf weiterzugehen: „Anziehen, raus!“ Widerlich!‍

Was ist das Bizarrste, das du in den letzten Jahrzehnten als Domina erlebt hast?

Am stärksten verstört hat mich die Anfrage eines Mannes, ob ich ein lebendiges Huhn schlachten würde. Er schrieb mir über Galerie De Sade, dort bin ich als Domina gelistet, und ich dachte zunächst, er wolle mich verarschen. Doch dem war nicht so. Er machte klar, dass Geld keine Rolle spiele, dass ich jeden Preis aufrufen könne, damit ich seine Fantasie erfülle. Ich blockierte ihn sofort, das ging zu weit.

"Obsession und Fetisch leben in jeder Reihe der Gesellschaft."

Was sind das für Männer, die dich bezahlen?

Die Männer kommen aus allen Schichten, absolut allen. Egal, ob Sozialempfänger, Friseur oder Jurist. Obsession und Fetisch leben in jeder Reihe der Gesellschaft. Manche sind alleinstehend, viele verheiratet. Mir ist das egal und ich frage auch nicht danach, doch einige legen den Ehering vor der Behandlung extra ab. Vielleicht denken sie ja, die Frau spioniert ihnen durch eine kleine Kamera im Ring nach (lacht). Ich hatte auch schon Berühmtheiten oder Ehepaare zu Gast.‍

Was empfindest du als größten Segen und größten Fluch an deinem Job?

Der größte Segen ist, dass ich einen Sohn bekommen habe. Er ist die Nummer Eins in meinem Leben. Der größte Fluch, dass unser Ruf in der Gesellschaft dermaßen mies ist. Wir können nicht einfach damit hausieren gehen, was wir beruflich machen, die Verurteilung ist immens. In den Augen der Gesellschaft sind wir schlechte Menschen, Nutten, Schlampen und weiß Gott, was alles.

Credit: Michael Philipp Bader

"In den Augen der Gesellschaft sind wir schlechte Menschen, Nutten, Schlampen und weiß Gott, was alles."

Wird sich der schlechte Ruf von Sexarbeiterinnen je ändern?

Seit es Prostituierte gibt – seit Hunderten von Jahren – werden diese Frauen misstrauisch beäugt. "Wir nehmen den Frauen die Männer weg", heißt es, und lassen uns dafür dann auch noch bezahlen, ich glaube, das ist das, was viele so anstößig finden. Es ist traurig, dass unsere Arbeit noch immer nicht salonfähig ist, in Deutschland sogar bis 2002 als sittenwidrig galt. Und du hast Recht, es steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass Millionen von Männern unsere Dienste beanspruchen. Leider glaube ich nicht, dass sich an unserem Ruf jemals etwas ändern wird.‍

Wie reagieren speziell Frauen auf deinen Beruf?

Frauen erlebe ich meistens eher als sehr neugierig. Ich war neulich bei der Kosmetikerin, die mir plötzlich eine Frage stellte. Sie erzählte mir, dass der Mann einer Freundin regelmäßig zu Dominas geht, die dick sind, und dass er auf den Schweiß in ihren Hautfalten steht. Sie wollte von mir wissen, ob ich ihr erklären könnte, woher dieser Fetisch kommt. Aber entschuldige mal, habe ich gesagt, ich bin keine Therapeutin. Warum ein Bedürfnis existiert, ist mir egal. Ich bin da, um es zu befriedigen – wenn es meine Prinzipien nicht bricht.‍

Herrscht zwischen dir und deinen Kolleginnen auf der Herbertstraße ein Konkurrenzkampf?

Wir sind alle da, um Geld zu verdienen. Wenn die Geschäfte gerade nicht so laufen und es bei einer anderen besser läuft, gibt es schon Eifersüchteleien. Das gibt es in jedem Job. Sobald man eine gewisse Summe erreicht hat, steckt man sich schon wieder ein höheres Ziel. Aber es gibt trotz allem auch etwas Verbindendes, eine Solidarität der Frauen.

Ein Teil der Frauen-Union der CDU möchte Prostitution in Deutschland verbieten lassen. Deine Reaktion darauf?

Ich frage mich ernsthaft, was die sich dabei denken, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Auch Politiker feiern ihre Privatpartys und feiern ihre Sexorgien. Bei einem Verbot könnten wir zusehen, wie die Zwangsprostitution wächst und die Vergewaltigungsfälle zunehmen. Was soll das? Wir tun niemandem etwas! Schon während der Pandemie wurde uns die Arbeit verboten, dabei gab es keinen nachweisbaren Coronafall bei einem Gast. Hygienischer als bei mir geht’s nicht – ich benutze Sterillium, Sagrotan, Handschuhe und Co.

Welches Vorurteil über die Herbertstraße stimmt?

Dass wir kräftig kobern. Viele Gäste kommen und erwarten für kleines Geld, dass wir die Beine breit machen oder blasen – da spreche ich für meine Kolleginnen, die tatsächlich auch Geschlechtsverkehr anbieten. Eine Stunde Domina-Spiele bei mir kostet mindestens 250 Euro. Und währenddessen ziehe ich einige Register, um den Gast noch länger dazubehalten und ihm mehr Geld zu entlocken. Und das nennt man dann Kobern.

Welches Vorurteil stimmt hingegen nicht?

Dass wir für Geld alles tun.

Wie fallen die Trinkgelder der Männer aus?

Viele sind wahnsinnig großzügig. Ich hatte früher mal einen, der regelmäßig kam und mir immer Plüschtiere mit einem darin eingerollten 500-Mark-Schein mitbrachte, bevor überhaupt die Verhandlung losging. Sehr aufmerksam!

"Manche würden dir am Ende die eigene Oma verkaufen, Hauptsache sie dürfen doch noch bleiben."

Erhoffen sich manche Gäste mehr als eine reine Dienstleistung?

Natürlich gibt es Männer, dich sich eine private Sache erhoffen. Dadurch bekämen sie meine Leistungen günstiger oder umsonst. Kommt nicht in Frage. Aber klar, es wird auch mal emotional. Manche kommen angerauscht, die würden dir die eigene Oma verkaufen, Hauptsache sie dürfen doch noch bleiben. Oder überhäufen dich mit Komplimenten. Manche Frauen fänden es toll, sich mit so etwas vor den Kolleginnen zu schmücken – ich mache mir daraus nichts. Nach all den Jahren weiß ich mich davon absolut abzuschotten.
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"Herbertstraße. Kein Roman"von EDEL BOOKS jetzt im Handel

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