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Warum man manche Dinge einfach lassen und Kinder auch mal machen lassen sollte

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„Aufgaben zuhause? Aber ich bin doch nie zuhause! Montags bin ich beim Ballett, dienstags beim Klavier, mittwochs beim Leichtathletik, donnerstags bin ich immer bei meiner Freundin, freitags ist der Sprachkurs und Samstag Hockey.”

WOW! Ich weiß ja nicht, in welchem Moment der Aufzählung ihr gerade ausgestiegen seid, aber ich hatte schon nach dem zweiten meinen Kinnladen nicht mehr unter Kontrolle. Meine Gehirnsynapsen waren dank akuter Empörung in Sekundenschnelle gestört. Und das lag nicht daran, dass mein damaliger Chef bei einem früheren Arbeitgeber ungeplanterweise seine Kinder dabei hatte. Es war vielmehr die Reaktion, die ich erhielt, als ich mediale Früherziehung mit noch anstehenden Hausaufgaben für eines der Kinder übernahm. Die Aufgaben waren wortwörtlich Hausaufgaben. In ersten Sätzen sollten Tätigkeiten aufgelistet werden, bei welchen man zuhause die Eltern unterstützt. Doch anstatt hierauf eine Antwort zu bekommen, erblickten mich zwei ratlose Kulleraugen: „Aufgaben zuhause? Aber ich bin doch nie zuhause!“

Der Terminkalender dieses Kindes war voller als der meines Vollzeitjobs. Ein Phänomen, welches ich auch heute noch beobachte. Von PEKiP-Kurs, über Baby-Yoga, Musikzirkel bis hin zum Schwimmtreff. Das Überangebot ist weitreichend, und die Kleinsten unter uns haben mehr Kurse als wir selbst. Sky is the Limit. Denkste. Die Spitze des absolut abgespaceten Unterhaltungskiosk bietet ein Kurs, in dem Eltern im Kreis schweigend 45 Minuten lang ihren Babies dabei zugucken, wie sich diese gegenseitig jegliche Bazillen und Handgreiflichkeiten austauschen und dabei nicht einschreiten. Am Ende gibt es Feedback eines Erziehenden darüber, welche Verhaltensmuster das eigene Kind an den Tag legte. Eine Handvoll Treffen für schlappe dreistellige Euronen. DAS ist definitiv nicht von dieser Welt. Da bleib ich mit unserem Juniore lieber zuhause.

Auch digital toben sich Eltern heutzutage aus: Es werden Apps gekauft, die beispielsweise den Schlaf des Kindes analysieren. Folglich wird Zeit in das Tracking des eigenen Kleinkindes investiert, während dieses mit teuer gekauftem Spielzeug bei Laune gehalten wird. Letzten Endes wird dann der einmalige Zeitraum der Elternzeit, bezahlte Freizeit mit dem eigenen Kind zu haben, fernbestimmt. Ein Kurs jagt den nächsten und das Tagesziel ist nur erreicht, wenn alle Naps analog der Apps erfüllt sind. Zuhause? Sind dann bestenfalls alle nur zum Schlafen.

Und trotz der Individualität beobachte ich zunehmend den kollektiven Trend, seinen Kindern einen Terminkalender anzulegen und bis zum Maximum zu füllen.

Dass Elternsein ein Vollzeitjob ist, steht außer Frage. Dennoch frage ich mich immer wieder, wieso man seine Kinder nicht einfach mal machen lässt, indem man einen Großteil einfach sein lässt. Jedes Individuum hat seine eigenen Bedürfnisse und viele Eltern finden Halt in genau solchen Kursen und Ratgebern. Und trotz der Individualität beobachte ich zunehmend den kollektiven Trend, seinen Kindern einen Terminkalender anzulegen und bis zum Maximum zu füllen. Folglich toben sich bei mir meine mittlerweile wieder freigegebenen Gehirnsynapsen aus und versuchen zu analysieren, weshalb viele Eltern solch ein Verhaltensmuster an den Tag legen. Am Ende geht es hier nämlich nicht zwingend um die Knirpse. Es sind eher die Premium-Entertainments, um die eigenen Kinder bilden oder bespaßen zu lassen, um dann bestenfalls ein geschafftes Kind nach Kursende schlafend nach Hause oder ins nächstbeste Café zu schieben. Des eigenen Ruhe willens.

Die Ruhe wird dann noch größer, wenn man aufgrund aller Termine und Schlafenszeiten vermehrt auch Familie und Freunden absagt. Auch denen, die keine Kinder haben. Es spricht definitiv nichts dagegen, den ein oder anderen Kurs zu besuchen oder sich digital eine Stütze zu holen. Aber wie so oft zählt auch hier die Qualität anstatt Quantität. Finden wir – egal ob groß oder klein – die so hochgehaltene Quality Time nicht am besten spielend im Park oder kuschelnd zuhause? Mit Freunden und Familie? Und sind es am Ende nicht doch genau die Dinge, die Kinder am meisten Freude bereiten und Energie kosten, die sie doch eigentlich lassen sollen: Schubladen ausräumen, Klopapier abrollen, Türen öffnen, schließen, öffnen, Muttis an den Haaren ziehen, Papis die Brillen klauen?

Und im Zuge dessen vor allem eines lernen: ein liebevoll aufregendes Miteinander im echten Leben.

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