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Yes, gib's mir – like my daddy always did!

Vaterkomplex oder doch einfach nur Vorbild?

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„You have to figure out what you want. You have to find comfort within yourself, and as soon as this happens the right partner will appear“.

Das waren unter anderem die Worte von Valentina, einer Tarotkartenlegerin wie aus dem Bilderbuch. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ihr kleiner Tisch, gebaut aus zwei wackeligen Obstkisten, einer Holzplatte und einer Leoparden-Tischdecke vor dem großen Eingang eines alten Hauses an der Piazza di Sant’Egidio stand. Ihre kraus gelocktes Haar bewegte sich auf und ab in der heißen Luft, die Ende Mai bereits durch die Gassen von Rom wehte.

„I have to figure out what I want?!“ Bitch, please. Ich weiß ganz genau, was ich will!

Credit: Marcel Frommer

Ich will einen Partner, der liebevoll und sensibel ist. Der mich wie weiche Wolken auffängt und mich auf seinen sanften Händen trägt, als wäre ich pures Gold. Richtig? Nein!

Doch eher jemand, der mich herausfordert, Emotionen heraufbeschwört und mich nächtelang in lüsterne Ekstase versetzt. Nah, come on!

Jetzt weiß ich es! Ich will, dass mein Partner mit mir Monate lang über alle Ozeane reist, verrückte Früchte in exotischen Ländern ausprobiert und die Abenteuerlust des alternativen Lifestyles aufs Äußerste auslebt. Das wär's doch nun wirklich, oder?

Einmal habe ich gehört, dass ein Partner vieles abbilden sollte: Einen Freund, mit dem du still und heimlich im Schutz der Dämmerung Pferde stehlen kannst, einen Bruder, der dich vor den bösen Jungs hinterm Spielplatz verteidigt und einen starker Vater, der dich, im Halbschlaf versunken, sicher von der Couch ins Bett trägt.

Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, dass die Erfahrungen meiner Kindheit der Schlüssel zur Bedeutung meiner Tarotkarten sind. Also ja, ich glaube, jetzt weiß ich, was ich will:

Gib’s mir, wie's mein Vater mir gegeben hat – das Gefühl von Sicherheit.

Das schützende Gefühl zweier haariger Beine, hinter denen ich mich als Kleinkind verstecken konnte, wenn mich mein Bruder auf dem Familienfest durch den Garten gejagt hat. Das Gefühl, mich in Sicherheit zu wiegen, wenn ich nachts zwischen meine Eltern schlüpfte und sicher wusste, dass das Monster in meinem Schrank erst den großen Bierbauch meines Vater überwinden müsste, um an mich ranzukommen. Das Gefühl von Vertrauen, dass ich bis heute habe, wenn ich in seinen viel zu protzigen SUV steige und auf der Rückbank jegliche Kontrolle über die Fahrt abgebe. Das erregende Gefühl, wenn ich den Geruch von frischem Schweiß, gemähtem Gras und sonnengebräunter Haut rieche und daran denke, wie mein Vater im 80er-Jahre Tank Top nach harter Arbeit im Garten die Terrassentür hereingestolpert kam. Das überwältigende Wow-Gefühl, wie das einer spannenden Gu­te­-Nacht­-Ge­schich­te im flackernden Licht des Lagerfeuers an einem stillen See in Schweden. Das Kitzeln, wenn mich mein Vater mit seinem Dreitagebart am Sonntagmorgen stolz auf die Wange küsst, um mich für meine Fortschritte am Klavier zu loben.

All diese Gefühle, die mich als Kind geprägt haben, möchte ich spüren, wenn ich mit meinem Partner zusammen bin.

Yes, das will ich. Ich will jemanden, der mir ein Gefühl von Sicherheit, Zuhause, Stärke, Vertrauen, Erregung und Stolz gibt. Auch, wenn das als schwuler Mann bedeutet, dass ich in meinen Partner immer ein Stück weit das suche, was für mich bekannt ist und was mich geprägt hat. Eben ein älterer Freund, ein großen Bruder, einen Vater, einen... Daddy?

Doch manchmal hadere ich auch mit dem Männerbild, das mich als Kind begleitet hat, da es für mich heute nicht mehr dem Wunsch des Partners an meiner Seite entspricht. Ich komme nicht drum herum, bei diesem möchtegern-harten-Mann auch den Mann zu sehen, der sich in viel zu eng sitzender Lederjacken auf seine Harley geschwungen hat, um mal wieder mit seinen Jungs für ein paar Tage über die Weiten des Landes zu ziehen. Dieser selbstverliebte Mann, der durch seine charismatische Art den Helden auf jeder Feier spielen musste. Dieser ehrgeizige Mann, der seiner Kariere hinterhergejagt ist, um mir und meinem Bruder ein äußerst privilegiertes Leben mit Reisen von der Karibik bis hin zu den Pyramiden von Gizeh zu bieten, anstatt Dienstagabend bei der Schulaufführung meines Bruders zu erscheinen. Ein Mann, dessen erste Priorität zwar immer das finanzielle Wohlbefinden seine Frau und Kinder waren, doch im Alltag die Musik nach seiner Pfeife spielen musste.

Auf der anderen Seite bin ich dankbar für sensiblere Seiten meines Vaters, die mich geprägt haben. Die Bilder des Komfort-liebenden Mannes, der jeden Freitagabend im Anzug und mit Aktentasche erschöpft durch die Tür gestolpert ist, bevor er sich in einen alten, grauen und ausgewaschenen Pulli schmiss, um dann eingekuschelt auf der Couch Indiana Jones zu schauen. Der weiche Mann, dem körperliche Nähe zu seinen Kindern wichtig ist und der aus den Fehlern seiner Eltern lernen will. Der fürsorgliche Mann, der verzweifelt nach jeglichen Lösungen suchte, um seinem frustrierten, depressiven Kind die Wiederholung der 7. Klasse zu erleichtern. Oder dieser emphatische Mann, der mir durch bedingungsloser Liebe mein Outing zur kleinsten Hürde meines bisherigen Lebensweges gemacht hat.

Manchmal sind es eben die Tränen der Trauer und der kalte Angstschweiß, die einen Mann zu einem Mann machen. Und manchmal sind es die Entscheidungen, die ein Kind als enttäuschend empfindet, die einen Vater zu einem Vater machen.

Am Ende bin ich dankbar für meinen Vater. Denn ich habe durch ihn nicht nur herausgefunden, dass er zusammen mit meiner Mutter das Fundament meines Sicherheits- und Zuhause-Gefühls bildet, er hat noch dazu den Maßstab für meine eigenen Beziehungen gelegt. Er hat mir aufgezeigt, auf welchen grundlegenden Werten einer Beziehung ich aufbauen möchte und von welchen Rollenbildern ich mich lösen muss, um der perfekte Mann, Freund, Bruder, aber auch Vater für meinen zukünftigen Partner zu sein.

Denn am Ende geht es bei der Findung des Partners doch nicht hauptsächlich darum, was der Partner geben muss, sondern viel mehr darum, was man selbst zu geben hat.

Wenn Valentina bloß wüsste, dass sie durch die Deutung ihrer vergilbten Karten mehr ausgelöst hat als nur durch ein paar spirituelle Hokuspokus-Phrasen zu beeindrucken, ist das eindeutig mehr wert als der zusammengeknüllte 10-Euro-Schein aus meiner Hosentasche.

Dieser Artikel entstand im Rahmen der Masterarbeit "The Daddy Issue" von Elena Schütte an der HAW Hamburg im Fachbereich Kommunikationsdesign.

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