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Too Hot To Handle

Ein Text über meine verkorkste Körperwahrnehmung, oder so

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Es ist 22:12 Uhr. Das Fenster ist offen, zwischen den langen weißen Vorhängen weht eine leichte Brise herein. Obwohl die Luft von draußen noch vom schwülen Tag schwer wiegt, kühlt sie meinen nackten Oberkörper ab. Ich sitze nur in Unterhose gekrümmt und erschöpft an der Kante meiner Matratze. Mein voller Bauch drückt auf meine Oberschenkel. Meine Haut fühlt sich matt an vom Schweiß und der trockenen Luft. Meine Füße sind schwer und fühlen sich aufgequollen an. Ich schaue in den Spiegel gegenüber von meinem Bett und im dunklen Schein meiner Nachttischlampen erkenne ich eine Gestalt zu mir schauen.

Eigentlich mag ich meinen Körper. Aber heute ist so ein Tag, an dem ich meinen Körper im Spiegelbild betrachte und mich seltsam fühle.

Credit: Marcel Frommer

Ich muss mehr Sport machen. Mein Rücken tut ja auch schon wieder weh… Klar – das kommt halt davon, wenn man den ganzen Tag nur bei der Arbeit sitzt und abends völlig faul, seitlich verdreht auf dem Sofa Netflix schaut. Was ist eigentlich aus meiner morgendlichen Yoga-Routine geworden und wollte ich nicht seit letzter Woche schon wieder laufen gehen? 

Ich fange an, meinen Blick aufwärts von meinem Bach über meine kräftige Brust, hoch über meine gekrümmten Schultern zu meinem Gesicht zu bewegen. Ich erkenne zwar mein Spiegelbild, aber der frustrierte Ausdruck in meinem Gesicht ist mir fremd, die Gesichtszüge verkrampfen sich langsam und plötzlich spüre ich eine Wut in mir hochkochen, die mich aus Reflex schlagartig aufrichten lässt. 

Ich laufe in großen Schritten auf den Schrank auf der anderen Seite meines Schlafzimmers zu, öffne ihn, ziehe die unterste Schublade auf, krame ganz bewusst ein altes ausgewachsenes Harley-Davidson T-Shirt von meinem Vater aus, schlage es einmal kräftig, mit beiden Händen am Saum gepackt, auf, werfe das Zelt aus schwarzen Baumwollstoff über meinen Kopf und versinke mit den Armen nach oben ausgestreckt in dem XXL T-Shirt.

Ich bleibe kurz mit geschlossenen Augen so stehen, nicke mir einmal kräftig zu und stampfe zurück vor meinem Spiegel. Die Augenbrauen sind immer noch zur Mitte der Stirn verkrampft zusammengezogen. Ich schaue meinem eigenen Spiegelbild tief in die Augen, gebe ihn einen wütenden, warnenden Blick und verschwinde mit einem schnellen Ruck den dunklen Flur hinunter ins Badezimmer.

Es macht mich krank, sage ich mir, als ich mir energisch die Zahnbürste über mein viel zu empfindliches Zahnfleisch schrubbe. Erst links, dann rechts. Es macht mich krank, dass du abwertend über dich selbst denkst. Eins, zwei, drei. Die Zahnbürste gleitet auf die andere Seite. Dir ist doch klar, dass du dich nur so scheiße fühlst, weil du den ganzen Tag in der Sonne gesoffen und dir den Bauch mit fettigen Chips vollgestopft hast. Mach dir lieber über deinen Alkoholkonsum Gedanken anstelle der Wölbung deines Bauches, die sich durch dein T-Shirt abzeichnen könnte.

Die raue Rückseite der Zahnbürste schrubbt nun über die Zunge. Ich spucke den Rest des Schaums (oder der Scham?) angewiedert ins Waschbecken und drehe den Wasserhahn nach rechts. Das Gesicht taucht in das kalte geschöpfte Wasser meiner Hände ein und ich spüre, wie diese Kälte meinen ganzen Körper durchströmt. 

Hör auf, dich selbst so runterzumachen und deinen Körper als Sündenbock für deine faule Lebensweise zu machen. Raff dich wieder und steh zu dir! 

Mit den Augen noch immer zugekniffen, greife ich nach links zum Handtuch und reibe es kräftig von oben schräg über mein Gesicht. Ich stelle mich aufrecht hin. Ein paar Wassertropfen laufen noch an meinen Mundwinkeln hinunter meinen Bart entlang und tropfen auf mein übergroßes schwarzes T-Shirt. Dort, unmittelbar neben den eben entstandenen Wasserflecken, bleibt mein Blick bei der Aufschrift des Harley-Davidson T-Shirts hängen. Unter dem flammenden Aufdruck eines Motorradhelms steht ganz groß in weißen Monotype Lettern die Aufschrift „Too Hot To Handle“. Ja genau! Du! 

Natürlich wusste ich ganz genau, was auf dem T-Shirt steht. Der Griff in meine Schublade war nicht willkürlich. Es mag lächerlich klingen, doch Self Confidence muss man sich eben manchmal aufzwingen. Wie die frisch gewaschene Skinny Jeans, die beim ersten anziehen drei Nummern zu klein geworden scheint. Auch wenn es nur ein altes T-Shirt ist, das mich durch seine übergroße Form schlank und sicher fühlen lässt und ich mir keine Gedanken um unförmige Ausprägungen meines Körpers machen muss. Oder mich die Aufschrift kurz daran erinnern soll, mit welchem Mindset ich jeden Tag durch die Welt stolzieren sollte.

Seit jeher habe nicht nur ich, sondern jede:r um mich herum seltsame Körperprobleme

Ich habe es satt, frustrierte Spiegelbilder zu betrachten. Ich habe es satt, mich selbst abwertend zu betrachten. Ich habe es satt, mich über „PrObLeMzOnEn“ zu beschweren, die keine sind. Ich habe es satt, mich irritieren zu lassen. Ich habe es satt, mich komisch zu fühlen, wenn ich mich in einer Umkleidekabine nackt ausziehe. Ich habe es satt, mich beim Ausziehen meines Hemdes wegen der Akne auf meinem Rücken unwohl zu fühlen. Ich habe es satt zu denken, ich sei weniger maskulin, nur weil ich kein breites Pumper-Kreuz oder 'ne Käseraspel unter meiner haarigen Brust versteckt habe. 

Am liebsten würde ich jeder und jedem in meinem Umfeld gerne einmal dieses verdammte, olle T-Shirt überstülpen und sie dann vor den Spiegel stellen.

Während ich zweimal kräftig eine lange Schnur aus der Zahnseide entnehme und näher an den Spiegel rücke, merke ich wie es mir unwohl wird meinem Spiegelbild so nah zu kommen. Ich spüre schon den strengen Blick, den ich versuche aus dem Weg zu gehen. Aber keine Chance. Unsere Blicke treffen sich und ich schaue kleinlaut zu mir hoch.

Du weißt ganz genau, dass Männlichkeit nichts mit Körperform, Körpergröße oder Muskulatur zu tun hat. Ja – Muskeln definieren zwar deinen Körper, aber nicht deinen Charakter und deine Willensstärke. Kannst du dir nicht wenigstens einmal selbst den Mann stehen, so wie du es bei deinen Freundinnen immer machst? Come on. Du weißt es doch besser. Body Positivity und (Fe)male Empowerment fängt bei einem selbst an. Wenn nichtmal DU authentisch und confidence as fuck durch die Welt läufst, wie soll sich denn irgendjemand anders um dich herum bestärkt fühlen und mit einer „Too Hot To Handle“-Attitude herumstolzieren. Was erwartest du?

Müde von dem Kampf gegen mich selbst. 

Ich stelle meine Zahnbürste zurück in den Badezimmerschrank, bewege mich aus der Tür raus, greife mit der Hand in Richtung Lichtschalter und verweile einen Moment, bevor ich das Licht ausmache. Ich wage nochmal einen kurzen Blick zurück in den Spiegel. Dort auf der anderen Seite, im weißen Neonlicht der Lampe über dem Spiegel, sehe ich die Reflexion meines Gesichtes müde herüber blicken. Müde von dem Kampf gegen mich selbst. 

Zurück im Zimmer schlurfe ich auf das Bett zu, schlüpfe gekrümmt und von der strengen Auseinandersetzung geschwächt unter die große, dünne Decke. Ich rücke noch kurz die Kissen zurecht, strecke mich um das Licht neben meinem Nachttisch auszuschalten und drehe mich mit einem stöhnen auf den Rücken. Es ist immer noch viel zu warm, doch der Wind von draußen strömt immer wieder stoßweise in den warmen Raum.  

Nun liege ich da im Dunkeln. Starre stumpf an den Stuck am Übergang von Wand zur Decke und spüre, wie das Gewicht des Kampfes auf meinen Körper drückt. Ich spüre, wie mich die Energie des Tages verlässt und ein Gefühl von Wehmut überkommt. Du hast ja recht, denke ich mir. Ich muss wirklich aufhören, immer wieder so herablassend über meinen Körper zu sprechen.

Mit einem weiteren Seufzer drehe ich mich zur Seite, ziehe die Bettdecke ein Stück näher unter die Nase und spüre das erste Mal Entspannung von oben bis unten durch meinen Körper strömen. Es fühlt sich gerade so an, als wäre ich wieder einen Marathon gelaufen. Einen Marathon gegen mich selbst. Ich bin ausgepowert und müde, aber es ist ein gutes Gefühl. Wieder einmal hat sich der Kraftakt bezahlt gemacht und wieder einmal hab ich mir bewiesen, dass es sich lohnt, dem strengen Blick der Person auf der anderen Seite im Spiegel ausgeliefert zu sein. 

Ein letztes Mal strecke ich meine Hand über meinen Kopf zur Seite meines Kopfkissens, um mein Handy auf Flugmodus zu stellen. Es ist 22:27 Uhr und mein Wecker ist auf 6:45 Uhr gestellt. Ich werde morgen zwar nicht mit einem komplett neuen Körperbewusstsein aufwachen, aber ich weiß, dass sich mich die Auseinandersetzung Schritt für Schritt nach vorne bringen wird. Auch wenn es bedeutet, dass ich noch 10 weitere Jahre dieses bescheuerte, ausgewaschene T-Shirt aus der Schublade kramen muss. 

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