Marcel Frommer
Graphic Designer
„I never read, I just look at pictures.“ (Andy Warhol)
Als ich jung war, hatte ich keine große Leidenschaft für Bücher wie andere Kinder. Ich habe viel lieber Disney-Filme geschaut und zur Popmusik der 2000er im Bett in der Bravo geblättert. Als ich älter wurde, liebte ich es, mit der Kamera meines Vaters herum-zuspielen oder kurze Videos mit meinem Camcorder zu drehen. Als ich dann später meine erste Kamera bekam, war das der Tag, an dem sich irgendwie alles veränderte. Seit diesem Tag habe ich nie wirklich aufgehört, nach dem „perfekten Bild“ zu suchen. Das weckte in mir den Wunsch, meinen Blick auf Dinge einzufangen oder durch Grafik provokante, ausdrucksstarke und bolde Designs zu schaffen.
Artikel von Marcel Frommer
„You have to figure out what you want. You have to find comfort within yourself, and as soon as this happens the right partner will appear“.
Das waren unter anderem die Worte von Valentina, einer Tarotkartenlegerin wie aus dem Bilderbuch. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ihr kleiner Tisch, gebaut aus zwei wackeligen Obstkisten, einer Holzplatte und einer Leoparden-Tischdecke vor dem großen Eingang eines alten Hauses an der Piazza di Sant’Egidio stand. Ihre kraus gelocktes Haar bewegte sich auf und ab in der heißen Luft, die Ende Mai bereits durch die Gassen von Rom wehte.
„I have to figure out what I want?!“ Bitch, please. Ich weiß ganz genau, was ich will!
Es ist 22:12 Uhr. Das Fenster ist offen, zwischen den langen weißen Vorhängen weht eine leichte Brise herein. Obwohl die Luft von draußen noch vom schwülen Tag schwer wiegt, kühlt sie meinen nackten Oberkörper ab. Ich sitze nur in Unterhose gekrümmt und erschöpft an der Kante meiner Matratze. Mein voller Bauch drückt auf meine Oberschenkel. Meine Haut fühlt sich matt an vom Schweiß und der trockenen Luft. Meine Füße sind schwer und fühlen sich aufgequollen an. Ich schaue in den Spiegel gegenüber von meinem Bett und im dunklen Schein meiner Nachttischlampen erkenne ich eine Gestalt zu mir schauen.
Eigentlich mag ich meinen Körper. Aber heute ist so ein Tag, an dem ich meinen Körper im Spiegelbild betrachte und mich seltsam fühle.
Dieses Jahr geht es nicht um glitzernde Geschenke oder den Duft von Tannenbäumen. Es geht nicht um die Jahrtausende alte Geschichten Jesus oder den Zauber von Heiligabend. Es geht nicht um grelle Weihnachtsdekoration der Nachbarn oder den angebrannten Braten im Ofen. Es geht nicht um den kapitalistischen Konsum unserer Zeit oder selbst gestrickte Socken. Dieses Jahr geht es um mich und meine Bedürfnisse. Dieses Jahr möchte ich mir selbst etwas schenken. Dieses Jahr möchte ich diese Zeilen ganz genau und bewusst lesen.
Homosexuell und Mitglied in der katholischen Kirche sein – seit ein paar Jahren lässt mich dieses Verhältnis in einem Zwiespalt verharren. Nicht zwischen mir und meiner Sexualität. Keineswegs. Eher zwischen den Entscheidungen, ob ich weiterhin ein Teil meiner Gemeinde bleiben und Geld in eine veraltete Institution investiere, oder aus der Kirche austrete und damit irgendwie meinen Glauben verrate. Täte ich dies denn?
Im zarten Alter von 8 Jahren wurde mir in einem Jugendgottesdienst einmal beigebracht, mich in solch konfliktären Situationen zu fragen: „What would Jesus do?" Also: Was würde Jesus tun? Das klingt im ersten Moment paradox. Warum, um Himmels willen, sollte ausgerechnet Jesus Christus, Symbol des Christentums, Messias und Sohn Gottes jemals überhaupt in Erwägung ziehen, eine:n Anhänger:in aus der Kirche zu „entlassen“?
Ich glaube dennoch, dass ich mir genau diese Frage stellen muss.