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Frauen und Männer berichten von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

Für mehr Sensibilisierung und einen offenen Austausch untereinander

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Sexuelle Anspielungen, aufdringliche Blicke, obszöne Worte oder Gesten, unerwünschte Berührungen – sexuelle Belästigung ist immer, wie soll ich es gelinde ausdrücken, widerlich. Besonders widerlich, falls das ein sinnvoller Ausdruck ist, ist sexuelle Belästigung jedoch am Arbeitsplatz. Wegen des Machtgefälles, welches – in diesem Fall unabhängig vom Geschlecht – alleine schon gegeben ist durch die berufliche Hierarchie.

Bevor ich mich diesem Thema aktiv zuwandte, um diesen Text zu verfassen, dachte ich, ich hätte damit glücklicherweise noch nie Erfahrungen gemacht. Doch je tiefer ich in meinem Gedächtnis grub, desto fündiger wurde ich. Mir wurde klar: Es war nicht so, als hätte ich nie etwas Derartiges erlebt – ich sperrte es einfach ganz tief weg, um mich selbst nicht mehr damit konfrontieren zu müssen.

Es begann bereits in Schul- und Uni-Zeiten: Ein Lehrer, der bei einer Zufallsbegegnung außerschulisch im besoffenen Zustand mit mir rummachen wollte, ein Dozent, der meine (fachbezogenenen) Mails spät abends mit dem Kommentar "Jetzt, wo ein langer Arbeitstag geschafft ist, bist du die Nummer Eins auf meiner privaten To-Do-Liste, zwinker" beantwortete. Später dann mein Chef in einem der Nachtclubs, in denen ich hinter der Bar stand, der mich zugedröhnt nach der Schicht mit zu sich nach Hause nehmen wollte. Mehrmals.

Denke ich heute darüber nach, kitzelt der Würgereiz schon in meiner Kehle. Daher suchte ich den Dialog mit euch, fragte euch nach euren Geschichten... und war erschüttert von ihnen. Lasst sie uns anhören.

Frau: "Ich arbeite in einem Pflegeheim mit kirchlichem Träger für ältere und kranke Menschen. Vor einigen Jahren bekam ich einen neuen Wohnbereichsleiter (verheiratet, 3 Kinder). Dieser hat von meiner dato bereits beendeten Beziehung mit einem Kollegen, einer Person of Color, erfahren. Im Spätdienst, als ich gerade dabei war, einer Bewohnerin das Essen zu geben und diese bat, es hinunter zu schlucken, sagte er dann zu mir: "Du hast bei deinem *N-Wort* auch immer geschluckt, oder? Komm, stell dich halt nicht so an, wenn du mit dem *N-Wort* vögelst, kannst des ruhig auch mit mir machen." Ich habe alle seine pflegerischen Fehler und Belästigungen dokumentiert und ihn dann angezeigt. Außerdem bin ich damit bis zur Geschäftsleitung im Verband gegangen. Die haben ihn direkt gekündigt"‍

Frau: "Ich war am Ende meiner Ausbildung, ein Kollege deutete immer wieder anzügliche Handbewegungen und Wangenküsse an, die letztendlich doch auf dem Mund gelandet sind. Ich drohte, meinem Chef davon zu berichten. Er drohte, dass er mir meine Anerkennung zerstören würde. Ich ging trotzdem zu meinem Chef. Es stellte sich heraus, dass dieser Kollege bereits zwei Abmahnungen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bekommen hatte."

"Beim Vorbeigehen streichelte sie mit der Hand an meinem Körper entlang"

Mann: "Ich war frisch beschäftigt in einem Supermarkt. Die Arbeit war entspannt, alle waren nett und ich bekam mein Geld pünktlich zum Ende des Monats. Mit der Zeit aber wurde es etwas komisch. Irgendwann, mitten im Monat, hatte ich bereits mein nächstes Gehalt auf dem Konto. Ich dachte, das sei vielleicht eine Ausnahme, meine Chefin teilte mir jedoch mit, dass ich ja so süß sei. Erst dachte ich mir nicht viel dabei und ging mich umziehen – beim Vorbeigehen streichelte sie mit der Hand an meinem Körper entlang. "Was machen Sie da?", fragte ich, und sie: "Und, gefällt es dir bei uns?" Sie griff einfach so an meinen Schritt, ich war völlig schockiert und neben mir. Von da an ging das ständig so weiter, auch, als ich bereits mit der Kündigung gedroht hatte. Ich ging schließlich zur Polizei, um sie anzuzeigen. Sie wurde belangt, ich bekam Schmerzensgeld und ging zur Therapie."‍

Frau: "Der Chef meiner Abteilung (Anfang 50, ich frisch aus der Ausbildung) kam in der ersten Woche in mein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er stellte mir Fragen, erst ganz normale, dann übergriffige. Ob ich denn einen Freund habe und der denn deutlich älter sei als ich, schließlich sähe man mir ja an, dass ich auf ältere Männer stünde. Beschämt lächelte ich es weg. Er sagte daraufhin, ich müsse mich für meine Vorlieben nicht schämen, er stehe schließlich auch auf Jüngere. "‍

Frau: "Ich wurde ungefragt im Fahrstuhl vom Manager eines Künstlers geküsst und bekam danach von ihm Dick Pics, da er sich irgendwo meine Nummer besorgt hatte. Ich damals, 27, er über 50. Ich 1,68 Meter klein, er 2 Meter groß. Safe. Die Bilder hab ich noch – falls ich diese Karte irgendwann spielen muss."

"Bück dich tiefer",
"Lehn dich über den Tisch"

Frau: "Ich arbeite in der Gastronomie. Manche älteren Herren leisten es sich oft, einen Schätzchen oder so zu nennen, hauen Sprüche raus wie "Bück dich tiefer", "Lehn dich über den Tisch" oder kommentieren meine größeren Brüste. Vor allem bei Feiern wie Hochzeiten werden Gäste umso giftiger, je besoffener sie sind. Das Krasseste, was ich bisher auf einer Feier erlebt habe, waren drei Männer, die sich auf eine sehr betrunkene junge Frau stürzen wollten, die auf einem Sofa geschlafen hat. Ich holte einen Kollegen und wir sind zusammen dazwischen gegangen."

Mann: "Ich war damals Praktikant bei einem Rundfunk, meine Vorgesetzte eine Frau. Es fing an mit gewissen anzüglichen Kommentaren und flüchtigen Berührungen am Arm oder Bauch, was ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wahrnahm. Im Jahr 2013 waren wir für dieses Thema, glaube ich, noch nicht so sensibilisiert wie heute, vor allem bei sexueller Belästigung von Männern. Ihr Verhalten wurde mit der Zeit krasser. Das Ganze fand seinen Höhepunkt auf einem Festival, das wir beruflich besucht hatten. Alle waren raketenbesoffen, unsere beiden Zimmer lagen gegenüber voneinander. Als es Zeit war, ins Bett zu gehen, stellte sie sich in den Türrahmen meines Zimmers und wollte mich nicht durchlassen, versuchte mich zu küssen. Ich drehte mich weg, sie heftete sich an meinen Hals. Als ich sie von mir wegdrückte, fasste sie zwischen meine Beine, meine Abweisung wurde noch vehementer. Ihre Stimmung schlug sofort um von geil auf wütend. Sie fragte, was los sei, ob ich denn kein echter Mann sei. Ich habe bis heute nie darüber mit ihr gesprochen, viele Dinge davon erst viel später verstanden und mir lange Zeit selbst Vorwürfe gemacht."

Frau: "Von Klienten über Kollegen bis hin zum Chef war schon alles dabei. Mein Chef lud mich einmal zu sich nach Hause ein und war auch dafür bekannt, dass er das bei jeder Angestellten versuchte. Ein Arbeitskollege besorgte sich meine Privatnummer aus der Personalakte und rief mich an, um mich nach einem Date zu fragen. Und ein Klient gestand mir einmal unverhofft seine Liebe und versuchte immer wieder, mich zu berühren."‍

Frau: "Ich wurde einmal von einem ehemaligen, älteren Kollegen heimgefahren, als mein Bus ausgefallen ist. Im Auto vor der Haustür wollte er mich nicht aussteigen lassen und hat dann mein Bein gestreichelt. Ein anderer, noch älterer Kollege hat mir Blumen nach Hause geschickt und mich daheim regelmäßig angerufen. Ich war ca. 18, er um die 60."

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Trauriger weise war die Menge an Nachrichten, die mich erreichten, zu groß, um sie hier alle wiederzugeben. Das lasse ich einfach mal so stehen.

Wenn auch ihr Erfahrung mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz macht, lasst es bitte nicht – wie ich damals – einfach passieren und kehrt es unter den Tisch. Ausführliche Informationen zum Thema und verschiedene Schritte, die ihr gegen Kolleg:innen und Arbeitgeber:innen gehen könnt, findet ihr z.B. in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Passt auf euch auf!

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