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Fritz Meise – der eher ungewöhnliche Gründer

Wie ein Bremer den Umgang mit Sexualität revolutionieren will

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Vor einigen Wochen erreicht mich ein Pressepäckchen der Marke VEDRA. Als ich es öffne, erwartet mich eine weiße kleine Karton-Schachtel, die im ersten Moment aussieht wie eine Parfüm-Verpackung. Ich nehme den Deckel ab und sehe einen Glasflakon mit milchig-weißiger Flüssigkeit darin. Darauf die Lettern "THE ESSENTIAL". Was erneut daherkommt wie ein teurer Duft, den man gerne auch als Deko-Element im eigenen Apartment ausstellt, ist in Wahrheit Gleitgel. Gleitgel mit CBD. Ich bin im ersten Moment etwas verwirrt. Gleitgel kenne ich bisher nur in billigen, länglichen Plastik-Behältern, die designt sind wie meine Power-Point-Präsentationen aus der 8. Klasse.

Das hier jedoch ist sexy. Ästhetisch. Erwachsen. Duftet kaum. Macht Lust auf mehr. Das Gesicht dahinter? Fritz Meise. Ein 25-jähriger gebürtiger Bremer, der sich irgendwann letztes Jahr dachte: Gleitgel kann ich besser.

Ich will den Gründer der Marke VEDRA und seine Geschichte kennenlernen, wir verabreden uns also sehr früh am Morgen eines Mittwochs zu einem Videogespräch. "Der frühe Vogel fängt den Wurm, hm?", scherzt Fritz, der in seiner Altbauwohnung in Berlin-Mitte sitzt.

Vor einem Jahr, mitten im Lockdown, zog er in die Hauptstadt, nachdem er in Nürnberg und Shanghai Wirtschaftsingenieurwesen studiert hatte. Seinen ursprünglichen Plänen, in die USA zu ziehen und dort erste Berufserfahrung zu sammeln, kam die Pandemie in die Quere – zum Glück. Stattdessen wuchs die Idee einer Brand für sexuelles Wohlbefinden und die Motivation, diese ins Leben zu rufen. Um Folgendes in unserer Gesellschaft voranzutreiben: offene Kommunikation und Empowerment für Sexual Wellbeing – mit sich selbst und dem/der Partner:in.

Auf dem Cityroller durch die Sextoy-Fabrik

Dass Meise mit seiner Marke ausgerechnet diesen Markt besetzt hat, wundert nicht: Seiner Familie gehört das Unternehmen Fun Factory, was sie zum größten Hersteller von Erotik-Spielzeugen in Deutschland und Europa macht. Buntes, abstraktes Sexspielzeug gab es vorher nicht, die Firma wurde zum Wegweiser moderner Sexualität. Die Idee hierfür entsprang dem ersten Sexshop nur für Frauen, den Fritz' Mutter Christine Meise in den 90ern eröffnete – nicht verrucht, dunkel und anrüchig, wie man es bis dahin kannte, sondern hell, offen und mitten in Bremens Innenstadt.

Man kann also sagen, dass Fritz in einer Pionier-Familie aufwuchs, die schon früh den Grundstein legte für einen völlig neu gelebten Umgang mit dem Thema Sex.

"Ich glaube, Stigmata und Tabus zu brechen, hilft Menschen, mit den eigenen Problemen umzugehen."

"Sexualität war in meiner Familie immer ein Thema, über das ganz selbstverständlich gesprochen wurde. Meine Schwester und ich fuhren schon als Kinder auf Cityrollern durch die Sextoy-Fabrik", so Meise, der seinen offenen Umgang mit Intimität klar daraus ableitet. "Ich glaube, Stigmata und Tabus zu brechen, hilft Menschen, mit den eigenen Problemen umzugehen. Der eigene Körper und die eigene Sexualität sind oft mit so viel Scham besetzt, dass es diese erst einmal abzulegen gilt, um gänzlich bei sich zu sein."

Die in unserer Gesellschaft noch immer vorherrschende Tabuisierung von Sexualität und das Gefühl, dass es nun Zeit für eine neue Generation, eine neue Welle der Entstigmatisierung geben müsse, führten schließlich zur Gründung von Meises Startup VEDRA. Die USA sei unserem Land in dieser Branche schon einen großen Schritt voraus – der 25-Jährige erkannte dieses Potential und legte los.

Credit: Kayra Aslan

Einfach mal machen – aber mit Bedacht‍

Nach mehreren Markennamen und ständig umgeworfenen Plänen zum Look der Marke, war eine Reise nach Ibiza schließlich ausschlaggebend für den schönen Namen VEDRA: "Als ich auf der Insel unterwegs war, hat mich der Vibe dieses Ortes direkt gefesselt. Es gibt in der Nähe eine Felseninsel, Es Vedrà, die in mir irgendwie das Gefühl des Ankommens und der Verbundenheit mit mir selbst und den Menschen um mich herum auslöste. Genau das, worum es auch bei Sexualität geht", erzählt er mir und ich nicke zustimmend.

Anders als bei anderen Gründer:innen sei seine Motivation bei der Gründung jedoch nie Wachstum um jeden Preis gewesen. "Ich habe dieses 'Baby' mit meinem eigenen Geld gegründet und handle in allem, was ich tue, sehr bedacht. Viel wichtiger ist es mir, den Menschen mit unserem CBD-Gleitgel zu einer besseren Connection mit ihrem Körper zu verhelfen, und damit auf ein Produkt aufmerksam zu machen, hinter dem ich zu 100% stehen kann", so Fritz. Als Leader und auch Privatperson verfolge er immer strikt drei Werte: Empathie, Wertschätzung und Dankbarkeit.

Ich frage ihn neugierig, woher er diese Gelassenheit nimmt, schließlich beschäftigt er mittlerweile ein Team von vier weiteren Mitarbeiter:innen. Er lacht. "Ich bin absolut nicht gelassen, im Gegenteil, Druck ist mein ständiger Begleiter. Ich konnte jedoch recht schnell feststellen, dass die Leute da draußen Bock auf dieses Produkt haben. Als das erste Mal ein Kunde eine zweite Bestellung getätigt hat, fühlte ich mich bestätigt. Mit diesem Gefühl lässt sich der Druck gut aushalten." Er legt anderen Gründer:innen außerdem Folgendes ans Herz: nie zu stolz dafür sein, Aufgaben, in denen andere besser sind, abzugeben: "Man kann vieles können, aber nicht alles. Am Ende geht es darum, Menschen zu finden, die Spezialist:in sind und die Lösung für ein Problem finden, das du ihnen aufzeigst." Notiert.

"Der 'Mann hinter dem Gleitgel' zu sein, ist definitiv ein Ice-Breaker!"

Ich frage Fritz, wie denn die Reaktionen auf seine Berufswahl so ausfallen würden – schließlich gibt es etliche Gründer:innen, aber wenige dieser Art. Er lacht: "Der 'Mann hinter dem Gleitgel' zu sein, ist definitiv ein Ice-Breaker! Wenn das Thema bei neuen Bekanntschaften aufkommt – und die mache ich in Berlin zahlreich –, stoße ich meist auf positive Neugierde." Klar, dass man den Smalltalk schnell beiseite legt, wenn man direkt über Sexualität spricht.

Was soll die Zukunft bringen?

‍"Wir wollen neue Standards für Sexprodukte setzen und unsere Produktpalette ausbauen." Meise erzählt mir von vier Wellen der sexuellen Enttabuisierung: Angefangen mit Beathe Uhse, die in den 60ern stark zur Liberalisierung der Sexualmoral in der Bundesrepublik beitrug, aber auch zur Pornografisierung der Gesellschaft. Weiter vorangetrieben durch das Unternehmen seiner Eltern, Fun Factory, welches Erotikprodukte in den 90ern nahbarer machte. Durch Amorelie und den Online-Handel wurde auch der Kauf dieser Produkte seit den 2010ern deutlich salonfähiger. Und mit der vierten Welle, die durch die Pandemie ausgelöst wurde und für einen noch offeneren Umgang und ein stärkeres Auseinandersetzen mit Sexualität sorgte, wolle nun er mit seiner Marke VEDRA in Verbindung gebracht werden.

Und der Grundstein hierfür ist bereits gelegt.

Credit: Kayra Aslan

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