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Why toxic positivity is a thing

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Noch nie stand mentale Gesundheit so sehr im Scheinwerferlicht der Gesellschaft wie in der heutigen Zeit. Gaslighting, Opfermentalität, Blackmailing – vor allem für das Thema emotionaler Manipulation wird nach und nach mehr Bewusstsein geschaffen. Dabei lag der Fokus bisher vor allem auf den negativen Verhaltensweisen unserer Mitmenschen und wie man sich vor diesen schützen kann.

Dabei rutscht ein Phänomen heimlich durch das Raster: toxic positivity. Stille. Okay, wie genau kann denn jetzt etwas Positives toxisch sein? Ein Oxymoron in sich selbst! Nicht unbedingt – und ich erkläre auch, wieso.

„Kopf hoch, schlimmer geht immer, haha. 😊" Klar! Man könnte bei einem Städtetrip nach Rom fälschlicherweise von der Mafia eingesackt werden, nur damit dieser nach 3 Tagen allmählich dämmert, dass man nicht etwa unglaublich unkooperativ, sondern schlichtweg nutzlos ist, da offensichtlich ein grober Fehler in der Zielpersonenakquise unterlaufen ist. Ja. Ich würde behaupten, das wäre schlimmer als vieles. Muss man sich nun also ab sofort schlecht fühlen, wenn man trotz mafiafreier Lebensumstände mal nicht so gut drauf ist? Nein! Und dafür gibt es zwei wichtige Gründe:

Nummer 1: Die (gravierenderen) Probleme anderer stehen in keiner Verbindung zur eigenen Situation.

Daher sollte nicht abgewägt werden, ob man es sich „erlauben darf“, gerade traurig, wütend, ängstlich etc. zu sein.

Nummer 2: Den eigenen Emotionen Aufmerksamkeit zu schenken und sich aktiv mit seinem Gemütszustand auseinanderzusetzen, ist keine Zeitverschwendung.

Währenddessen hätte man nichts „Sinnvolleres“ mit seiner Zeit anfangen können. Sich um die eigene mentale Gesundheit zu kümmern, ist eine Form von Produktivität und nie unnötig! Im Gegenteil – es ist sogar extrem nötig. Dieses unruhige Gefühl, welches aufbrodelt, wenn der eigenen Erzählung mit „Versuche das Gute daran zu sehen – nicht gleich den Teufel an die Wand malen!“ entgegnet wird. Trotz der augenscheinlich optimistischen Worte bleibt die Erleichterung oft aus, weil: Hm. Vielleicht fühle ich mich aber gerade danach, die eigenen vier Wände mit Luzifers Antlitz zu dekorieren? Denn in Moment kann ich absolut nichts Gutes an der Situation erkennen! Einmal den Gedanken zu Ende gebracht, fühlt man sich sofort als Versager:in der Woche. Denn sollte man sich nicht bemühen, positiv zu denken, wenn jemand eine attraktivere Sichtweise auf die trübe Sachlage präsentiert? Man möchte ja keine bad Vibes verbreiten und so.

Gute Neuigkeiten: Nichts verpflichtet einen dazu, sich besser zu fühlen. Nicht jede Momentaufnahme des Lebens kann mit positiven Gedankenschleifen wegmotiviert werden. Es ist nichts falsch daran, mal nicht in optimaler Blüte zu stehen, wenn die derzeitige Situation eben genau das ist: suboptimal.

Klassische Beispiele für toxischen Positivismus, die wir alle so schon oft gehört und mindestens genauso oft selbst ausgesprochen haben: „Jeder ist für sein eigenes Glück verantwortlich!“ „Kopf hoch! Es ist alles eine Frage der Einstellung!“ „Alles geschieht aus einem Grund!“ In manchen Momenten durchaus aufmunternde Floskeln, in anderen zwar weiterhin gut gemeint, aber absolut empathielos. Denn es kommt – wie so oft – auf die vorliegende Situation an. Den Absender:innen geht hierbei meist keinerlei verletzende Intention voraus. Es ist ein Kommunikationsfehler – oder genauer ein Problem des aktiven Zuhören (bzw. eher der Abwesenheit dessen). Trotzdem kann es den Leidklagenden das Gefühl vermitteln, dass:

  • man sich für seine Emotionen schämen muss

  • es nicht ok ist, auch mal ein Tief zu haben

  • man selbst schuld an der eigenen Situation ist

  • die bisherigen Bemühungen offensichtlich nicht ausreichend/nicht erfolgreich genug waren, da man nicht positiv gestimmt ist

  • man gerade etwas falsch macht im Leben

Zur Verteidigung muss man sagen: Der Drang, einen Gesprächspartner aufzumuntern, ist tief in uns verankert und per se nicht falsch. Gesellschaftlich konditioniert fordern die sozialen Konventionen: aufmunternde Worte auf niederschmetternde Neuigkeiten! Im allgemeinen Alltag auch durchaus hilfreich, um ein ausgeglichenes Gefühlsklima beider Parteien aufrechtzuerhalten. Es ist nun jedoch so, dass wir Menschen furchtbar emotionale Geschöpfe sind und Emotionen eine immens wichtige kognitive Kontrollfunktion übernehmen: Erlebtes wird eingeordnet und verarbeitet, um bestenfalls anschließend daraus zu lernen.

Nicht aus allen Emotionen muss dabei etwas Tolles entstehen und nicht jedes aufkommende Gefühl muss dabei gemicromanaged werden. Manchmal sind sie auch einfach nur da, bis sie wieder weg sind. Doch es gibt eben auch Ereignisse, welche nicht innerhalb von 5 Minuten vom Gehirn zu verarbeiten sind, und das bedeutet nicht automatisch, dass man deshalb unfähig ist oder „zu lange an etwas festhält“. Unser Gehirn ist einfach noch nicht fertig mit der Bearbeitung. Wichtig ist nur, sich aktiv damit auseinanderzusetzen und auf der natürlichen Welle der Emotion mitzureiten. Sowohl sich krampfhaft festzuhalten, als auch zu früh aussteigen zu wollen, kann früher oder später zum selben unerwünschten Ergebnis führen: Man geht darin unter. Deshalb ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen, bis man letztendlich sanft am Strand abgesetzt wird, wo die letzten Überreste der Emotion abebben und man entspannt davon laufen kann.

Die Message geht hierbei an zwei Adressen:

An die Zuhörenden: Man sollte nicht krampfhaft versuchen, das Gegenüber aufmuntern zu wollen, wenn dies nicht in den Kontext passt. Aufmerksames Zuhören und verständnisvolle Worte sind manchmal hilfreicher als positives Zureden.

An die Fühlenden: Gefühle sind da, um gefühlt zu werden. Unterdrückte Emotionen können Stressreaktionen hervorrufen. Wichtig ist nur, sich nicht in ihnen zu verlieren, sondern sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen und dem Kopf die Chance zu geben, sie entsprechend einzuordnen. Jeder hat hierbei ein eigenes Tempo - manche brauchen länger, bei manchen geht das schneller.

Fakt ist jedoch: Selbst die optimistischsten Menschen der Welt haben mal einen schlechten Tag.

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