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Diagnose Endometriose – zwischen Erleichterung und Verzweiflung

Viele Jahre Schmerz. Eine Diagnose. Und meine Welt, die kurz auf dem Kopf steht.

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Ich habe so lange darauf hingefiebert. Auf diesen einen Eingriff, der endlich Klarheit bringen soll. Der Tag ist gekommen. Und als ich zuhause am Morgen der Operation unter der Dusche stehe, fließen die Tränen einfach so aus mir heraus. Ich habe Angst. Schreckliche Angst vor einer Diagnose, die längst überfällig war. Als ich einige Stunden später aus der Narkose aufwache, stellt sich heraus: Die Angst war berechtigt.

"Weinen Sie?" Die Anästhesistin schaut mich besorgt an. "Ja", sage ich und schlucke schwer. "Wieso?", fragt sie mich. "Ich weiß es nicht genau", sage ich. Wir schweigen. Ich weiß es nicht genau. Nicht, weil mir kein Grund dafür einfallen würde. Sondern weil ich nicht weiß, welcher der vielen Gründe ich zuerst benennen soll.

Ein kurzer Rückblick: Ich leide seit vielen Jahren an starken Schmerzen vor und während meiner Periode. Ich menstruiere seit ich 11 bin. Die ersten Jahre waren okay, dann nahm das Leid zu. In all diesen Jahren hatte ich nicht nur eine ganze Bandbreite an Beschwerden – messerscharfe Schmerzen in Unterleib und Nieren, Durchfall, wahnsinniger Blutverlust und so weiter –sondern auch viel Zeit, um mich mit ihnen abzufinden. Ginge es nach der Meinung aller Frauenärzt:innen, die ich bis zu meinem 23. Lebensjahr besucht hatte, sollte ich nämlich genau das tun: mich damit abfinden. Als Frau müsse man das manchmal eben aushalten. Das ist halt so. Frau Weßbecher, Frauen haben es eben manchmal nicht so leicht, aber Sie können ja mal Mönchspfeffer ausprobieren, das hilft.

Aber nichts hilft. Ich trainiere mir an, mich zumindest nicht für mein Leiden zu schämen, beginne, erst im engeren, dann auch im weiteren Umfeld offen damit umzugehen. Wenn ich das schon aushalten muss, dann will ich wenigstens nicht so tun, als ginge es mir gut dabei. Doch so verständnisvoll und rücksichtsvoll meine Familie, Freunde und Kolleg:innen, ja auch Vorgesetzte, damit umgehen – so schäbig fühle ich mich dennoch mit der Zeit, Monat für Monat zu bekunden, dass es eben "echt doll wehtut".

Jetzt kommt der Teil, der sich bei uns Betroffenen fast immer überschneidet: Ich lese oder höre irgendwo – auf Sozialen Medien oder in einem Podcast – auf einmal von der Krankheit Endometriose. Endo-was? Endometriose. Einer chronischen, bis heute unheilbaren Unterleibskrankheit, deren Ursachen noch immer unerforscht sind. Was ich aufschnappe ist im ersten Moment nicht viel, aber es reicht, um mich hellhörig zu machen: Entzündliche, gebärmutterartigen Zellen, die außerhalb der Gebärmutter an diversen Organen bis hin zum Zwerchfell oder der Lunge wuchern, für starke Schmerzen sorgen und im schlimmsten Fall zur Unfruchtbarkeit führen. Jede zehnte Frau soll betroffen sein, mindestens 80% dieser Frauen wissen nicht, dass sie es sind. Manche von ihnen können das Bett für mehrere Tage nicht verlassen, werden während ihrer Blutung ohnmächtig, urinieren unter stärksten Qualen, übergeben sich, sind in schlimmen Fällen arbeitsunfähig.

Mein erster Gedanke, als ich bei Google die Liste der Symptome eins nach dem anderen wie eine Checkliste abhake: Ich muss Endometriose haben. Also spreche ich das bei meiner Frauenärztin an. Zunächst bei der einen, dann bei der nächsten. Nichts. Keine wirkliche Äußerung, nur ein kurzes Kopfschütteln, das Thema ist schnell vom Tisch. Ich hätte eben einfach "Pech mit meiner Periode". Gut, die haben das studiert, die wissen schon, was sie tun. Wenn die Expertinnen sagen, ich bin gesund, dann bin ich das, denke ich. Bis zu einem Tag im November.

Ich liege auf dem Sofa, habe meine Tage. Halte den Schmerz nicht aus. Als es so schlimm wird, dass ich mich am liebsten aus meinem Körper schälen möchte, bekomme ich Angst. Was, wenn was gerissen ist? Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich rufe eine Freundin an, bringe schluchzend hervor, dass ich Hilfe brauche. Es ist mir peinlich, unglaublich peinlich, um Hilfe zu bitten. Sie wählt den Notruf. Die Sanitäter:innen kommen schnell, verkabeln mich, tasten mich ab, wollen mich sofort in die Notaufnahme bringen. Mit Blaulicht geht es ins Krankenhaus – Standarduntersuchungen ergeben nichts, man erkundigt sich mehrmals nach meinem Blinddarm, obwohl ich betone, dass ich meine Periode habe und es ein Problem mit dem Unterleib sei. Man hängt mich an einen Tropf, verabreicht mir Schmerzmittel und schickt mich ein Stockwerk nach oben in die Gynäkologie. Dort liege ich zwei Stunden im Flur, bis mich eine junge Frauenärztin halbherzig begrüßt. Das übliche Procedere: Abtasten, Ultraschall außen, Ultraschall innen, kurzer Blick ins Innere. Ihre Aussage bleibt hängen: "Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll. Alles sieht gesund aus. Warum hat man Sie mit Blaulicht hierher gebracht? War das nötig? Es scheint Ihnen doch wieder ganz gut zu gehen." Ja, weil man mir gerade einen Liter Schmerzmittel verabreicht hat. Ich verkneife mir den Kommentar. Als ich abgeholt werde, frage ich mich dasselbe: War es nötig? Gleichzeit frage ich mich aber auch:

Wie kann eine Frau, die ihr Leben der Frauengesundheit widmet, einer anderen Frau so wenig Empathie entgegenbringen?

Kurz darauf. Ich bin wieder bei meiner behandelnden Frauenärztin, erzähle ihr von meinem Krankenhaus-Ausflug. Vorsichtig frage ich nochmal nach: "Könnte es denn sein, dass ich Endometriose habe? Ich habe mich ein wenig informiert, und..." Sie unterbricht mich. Anscheinend bin ich nicht die einzige, die in letzter Zeit nach Eigenrecherche die Endometriose-Bombe fallen lässt. Nein. Ich sei gesund. Ich traue mich nicht, weiter darauf zu beharren. Aber der Drang nach Klarheit wächst. Ich vertraue meinem Bauchgefühl (wirklich ironisch, dieses Wort in diesem Kontext) mehr als ihr. Schicke also Tage später zu Hause eine Mail mit der Bitte, mir eine Überweisung für eine Bauchspiegelung auszustellen. Denn, was ich selbst in Erfahrung bringen musste: Einzig durch das operative Öffnen des Bauchraums kann diese Krankheit diagnostiziert werden, nur so können die Herde gesehen werden. Ultraschalluntersuchungen sind nicht ausreichend. (Wieso sagte mir das keine Menschenseele?) Am Abend ruft mich meine Gynäkologin an. Wieder ein Satz, der hängen bleibt: "Wieso sollte ich eine junge, gesunde Frau unter Narkose operieren lassen?"

WEIL ICH NICHT GESUND BIN, will ich schreien, aber ich lasse es, sie muss es doch schließlich wissen.

Monate später: Ich finde einen Frauenarzt, der nach einem Erstgespräch sagt: "Das könnte Endometriose sein, wir sollten eine Bauchspiegelung machen." Ich könnte weinen vor Erleichterung, denn ich fühle mich zum ersten Mal gehört. Fühle mich zum ersten Mal nicht wie eine hypochondrische Irre, die weinerlich durchs Leben geht. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit und vielen inneren Konflikten (Was, wenn ich am Ende wirklich gesund bin? Was, wenn ich nicht gesund bin, und den Eingriff verweigere?) stimme ich dem Eingriff letztlich zu. Bestimmt habe ich das doch nicht, nicht ausgerechnet ich, es sind doch immer nur die anderen, rede ich mir ein, aber ganz tief in mir weiß ich, dass ich mich damit selbst anlüge.

Zurück ins Heute. Zurück in den Aufwachraum. Zurück zur Anästhesistin. Ich weine. Weil mir der Arzt gerade bestätigt hat, was ich längst glaubte zu wissen. Nämlich, dass er Endometrioseherde finden konnte. An verschiedenen Organen. Manche noch frisch, manche schon älter, zum Glück aber immer noch verhältnismäßig klein. Ich weine, weil ich so erleichtert bin, endlich zu wissen, dass ich all die Jahre nicht verrückt war. Ich weine aus Erleichterung, anscheinend immer noch Kinder bekommen zu können, wie mir der Arzt bestätigt, und weine, aus Angst, dass er sich vielleicht doch irren könnte. Ich weine aus Panik, jetzt nicht zu wissen, wie es weitergehen soll. Es gibt, so sagt man es mir, nur zwei Auswege: die Pille im Langzeitzyklus zur völligen Unterdrückung der Blutung, oder das operative Entfernen (Wegschneiden oder Verbrennen) der Herde, was wiederum weitere Risiken mit sich bringt. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Ich will weder das eine, noch das andere.

Aber vor allem weine ich, weil ich wütend bin. So wütend, auf jede Ärztin, die mich jahrelang im Stich ließ. Selbst dann noch, als ich flehend die Hand nach ihnen ausstreckte. Ich bin wütend auf die Tatsache, dass keiner weiß, was Endometriose überhaupt ist, obwohl 10% der menstruierenden Gesellschaft darunter leiden. Aus dem einfachen Grund, dass die Aufklärungsarbeit da hinsichtlich gegen null geht.

Aber am wütendsten bin ich darüber, dass junge Frauen in dem Glauben aufwachsen, Schmerz gehöre zu ihrem Leben dazu.

9m
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