Strohhalm. Was aber, wenn...?
„Der rettende Strohhalm – sich an einen rettenden Strohhalm zu klammern, bedeutet, seine Hoffnungen in jede noch so geringe Chance auf Rettung zu setzen. In einer verzweifelten Lage klammert sich der Mensch sogar, im bildlichen Sinne, an einen dünnen Strohhalm.“
Sommer, Sonne, Aperol Spritz. Durch einen roten Strohhalm den Sommer trinkend. Midsommer ist schon ewig vorbei, die langen Tage stehen hinter uns und ich klammere mich dennoch weiter an den Strohhalm, der mir die Sonne, der mir den Halt schenkt. Klammere mich an etwas, was mich glücklich macht. Klammere mich an etwas, dessen Worte fehlen. Bis jetzt.
Das Gefühl der seelischen Leere. Wir alle kennen es. Ein leeres Gefäß, dessen Inhalt irgendwo und nirgendwo zu finden zu sein scheint. Oft vergeblich versuchen wir es in anderen Personen zu finden. In etwas Menschlichem. Einem Körper, einem Geist. Liebesfilme machen uns weiß, dass durch einen einfachen Blick in die Augen eben jenes gefunden werden kann. Doch, und auch das wissen wir alle, ist es natürlich nicht so. Nichts gegen Liebesfilme, nichts atme ich mehr. Dennoch. Die Zweifel bleiben. Der Film auch.
Im Endeffekt wollen wir doch alle ausgefüllt werden. Den fehlenden Part finden, das vermissende Puzzlestück, den perfekten Menschen, die Liebe des Lebens, den Strohhalm des Lebens. Doch was passiert, wenn wir das gefunden haben? Hier hören die Filme meistens auf, was ich beim besten Willen nicht verstehe – erst dann wird es doch spannend.
Den Sinn des Lebens dadurch am erfüllen, begeben wir uns in das, was wir Liebe nennen. Doch was ist sie? Ganz sicher nicht nur ein Augenkontakt. Mehr als das. Weniger als das.
Scheidungskinder haben ein gestörtes Verhältnis zur Liebe. Davon bin ich überzeugt. Früh wurde uns die romantische verschönende Sichtweise genommen. Früh wurden wir mit Zweifeln konfrontiert, früh ist die Liebe nur eine Frage und keine Antwort. „Lohnt sich das alles? Kann ich dieses Risiko eingehen? Kann das überhaupt gut gehen? Darf ich mich auf einen anderen Menschen mehr verlassen als auf mich selbst? Wie bekämpfe ich meine Angst vor Bindung? Was aber, wenn...?"
„Was aber, wenn...?“ ist hierbei die schlimmste aller Fragen.
Sie zerstört unser Herz, unseren Glauben und unsere Hoffnung. Sie verneint die vielversprechende Zukunft, stellt sich gegen die spontane Gegenwart und vergöttert leichtfertig die Vergangenheit. Keine Frage vernichtet uns mehr. „Was aber, wenn...“ ist für so viel Unglück in dieser Welt verantwortlich, ich habe aufgehört zu zählen. Aber und Wenn sind mit Abstand die schlimmsten aller Wörter.
Sind dadurch Kinder aus Scheidungen von Grund auf nicht für die Liebe geschaffen? Haben wir zu viele „Was aber, wenn’s...“ im Kopf? Uns plagen zu viele Zweifel und Ängste. Uns verfolgen zu große Schwierigkeiten mit uns selbst. Sind wir von vorneherein zum Scheitern verurteilt? Zu einfache Antworten auf eine zu komplizierte Frage, meiner Meinung nach.
Sind wir nicht sogar am Ende die Meister der Liebe? Können wir nicht am ehesten lieben, diejenigen sein, die Schwächen erkennen? Sind wir nicht die, die durch diese Erkenntnis erst recht voller Zuversicht sein können? Diejenigen, die die Fülle mit all ihren Seiten erkennen? Zu einfache Fragen auf eine zu komplizierte Antwort, meiner Meinung nach.
"Ich will einen Strohhalm."
„Was aber, wenn...?“ Ja, und? Was dann? Was aber? Hör mir auf mit deinem Aber. Das Wort Aber ist für Anfänger:innen. Für Ausreden-Suchende. Ich will kein Aber, Ich will kein Wenn. Ich will ein Dann. Ich will ein Weil. Ich will ein Ja. Ich will Risiko, ich will Chancen, ich will mehr, ich will ein Dich, ich will einen Strohhalm.
Einen Strohhalm, an dem ich mich halten kann. Einen Strohhalm, der mir neue Zuversicht schenkt, zusammen mit Vertrauen und Verlangen. Einen Strohhalm, der für Sicherheit steht. Einen Strohhalm, der mein Zurück ist. Etwas, nach dem ich greifen will. Ist das zu viel verlangt? Wie viele Chancen, wie viele Risiken sind unmutig dahingeflogen und sind verantwortlich für eine ungesunde Welt? Mindestens genauso viel, wie die Wörter Wenn und Aber zu verantworten haben, da bin ich mir sicher.
Ein Strohhalm, der meinen Halt symbolisiert. Ein Strohhalm in meinem Aperol, der das Trinken einfacher macht. Ein Strohhalm, der zum Leben da ist. Ein Strohhalm, der niemals geht. Egal, wie unklug es wirkt. Ein Strohhalm als ein Zurück. Ein Strohhalm als ein Weiter. Ein Strohhalm, der einen Weg symbolisiert. Etwas, was mich zurückführt. Etwas, was mich weiterführt. Für nichts mehr und nichts weniger steht das.
Sommer, Sonne, Aperol Spritz mit einem roten Strohhalm. Mit dir an meiner Seite.