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Wie, du kannst kein Fußball spielen?

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Von allen Rasen ist der eines Fußballplatzes schon immer am grünsten gewesen. Nirgendwo auf der Welt ist der Rasen so perfekt wie auf eben jenen Plätzen der Maskulinität. Auf meinen Busfahrten durch die trockenen Ebenen Südamerikas waren es immer die Fußballplätze, die weiterhin grün leuchteten. Die Person, die damals das Sprichwort „das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner“ erfunden hat, muss auf einen Fußballplatz geschaut haben. Und eines meine ich noch über diese Person zu wissen – sie war männlich.

Was ist das mit der Männlichkeit und Fußball? Woher kommt dieser mir nicht erklärbare Drang, schwitzenden Männern beim Rennen zuzuschauen?

Credit: Sascha Möller

Versteht mich nicht falsch, ich sehe die Argumente, die sportlich begeisterte Männer hervorbringen: „Der Zusammenhalt und der Reiz, an seine Grenzen zu kommen. Etwas zu erreichen, wovon Generationen von Jungs träumen. Aus reinem Talent etwas schaffen.“ Oder wie es ein Freund von mir so treffend formulierte: „Alles. Insbesondere das Tippen.“ Tief in meinem Herzen blocken diese Argumente in mir ab.

Was ist das mit Jungs und Fußball? Mit Vätern und ihren Söhnen? Wie, du kannst kein Fußball spielen? Ein Satz, den ich wirklich oft genug gehört habe. Ein Satz, der Enttäuschung vorprogrammiert.

So blieb mir keine andere Wahl, als traditionsbewusst in einem Frankfurter Vorort auf Wunsch meines Vaters einem Fußballclub beizutreten. Ich sehe vor meinem inneren Auge diesen Vater am Spielfeldrand stehen und mich anschreien: „Sascha, nach vorne. Sascha, lauf. Sascha, der Ball.“ Mein Vater scheint seine gesamte Existenz auf diesen mich verfluchenden Ball zurückzuführen. Genau wie es für viele andere Männer gilt. Das respektiere und beneide ich. Für mich war das aber schon immer anders. Jedes Mal, wenn ein Ball mir zugespielt wurde oder ich auch heute einen sehe, sehe ich meinen Vater an jenem Spielfeldrand. Ich sehe Enttäuschung und Hoffnung, dass ich doch einer dieser Jungen werde. Einer dieser Jungen, über die Väter beim Bier prahlen können: „Hast du meinen Sohn heute gesehen? Zwei Tore hat er geschossen. Seinetwegen haben wir gewonnen. Mein Sascha.“

Geht es Vätern, oder Männern, im Endeffekt nur ums Gewinnen? Ich könnte es nicht wissen, denn ich habe selten in meinem Leben etwas dauerhaft durchgezogen, außer eins – verlieren. Vom Gewinnen weiß ich nichts. Vom Verlieren hingegen kann ich Lieder singen, oder Texte schreiben.

Sommersaison. 2003. Das Leben hätte so einfach sein können.

Grundschule und in jeder Pause mit den Mädchen die Serie Winx Club nachgespielt. Ich durfte das sein, was ich sein wollte. Eine Fee. Zugegebenermaßen nicht mein größter Wunsch und trotzdem immer noch besser als ein Fußballspieler. Die Pausenklingel ertönte in meinen Ohren und während sich meine 6-jährigen Klassengenossen den verklebten und ekligen Softball schnappten, überkam mich nur wieder das Gefühl von Verlieren. Die Enttäuschung. Die Angst. Mein Vater, der mich auch auf dem Pausenhof zu beobachten schien. Jeden meiner Schritte und Kicks. Der Mann in meinem Leben, der mir beibringen sollte, männlich zu sein. „Fußball macht aus Jungs Männern.“ Nein Papa. Der Vater macht aus seinen Jungs Männern. Seine Vorstellungen von dem, was ich als Junge sein sollte, kollidierten mit der Auswahl an Feen, die ich sein wollte. Doch voller Angst, der Junge zu sein, der mit den „ekligen“ Mädchen spielt und nichts übrig hatte für das, was mir als Kind hätte „Männlichkeit“ schenken sollen, betrat ich trotzdem den Fußballplatz meiner Grundschule. Wieso muss jede Grundschule einen Fußballplatz haben?

Nur wenige Spielminuten voller Rennen und die Erkenntnis, dass ich niemals der beliebte Spieler Torben aus der 4b werden kann, später, hörte ich den mich so erschütternden Satz: "Wie, du kannst kein Fußball spielen?"

Wintersaison. 2006. Hallenzeit. Vielleicht lag da mein Talent?

Vielleicht war ich einfach nicht der größte Renner. Um das zu gewinnen, was mir mein Leben lang als Gewinn verkauft wurde, musste ich vielleicht ins Tor. Ja, da lag die Chance auf meinen Gewinn. So sicher war ich mir, dass ich meinem damaligen Fußballtrainer wochenlang in den Ohren lag. „Darf ich im Tor stehen? Kann ich heute bitte als Torwart spielen?“ Endlich war es so weit. An einem der Spiele am Wochenende war meine Chance gekommen. Meine Chance, das zu gewinnen, was ich mir so lange erhofft hatte. Dass mein Vater Bier trinkend von mir prahlt. „Habt ihr gesehen? Mein Sohn hat zwei sichere Chancen des gegnerischen Teams geblockt. Mein Sascha. Seinetwegen haben wir gewonnen.“ Mein Moment. Ich konnte die Torwarthandschuhe anziehen, die ich schon immer ziemlich cool fand. Wenigstens nach etwas aussehen, auch wenn ich es nicht bin. Eine Eigenschaft, die ich mir bis heute erhalten habe. Die Tore für Kinderspiele in der Halle sind sehr dankbar. So viel kann man nicht falsch machen, wagte ich naiv zu glauben. Voller Stolz und meinen Vater am Spielfeldrand anblickend, ging ich das Risiko ein. Unendliche Gegentore später sah ich zum Spielfeldrand. Er war nicht mehr da.

Nach diesem Spiel, was mein Leben für immer verändern sollte, saß ich mit meinem Vater im Auto auf dem Nachhauseweg und hörte es wieder: "Wie, du kannst kein Fußball spielen?"

Fußballsaison im Sportunterricht. 2011. Mit das Schlimmste, was man mir hätte antun können.

Ein Großteil der Gesellschaft erwartet von den Jungs das sportliche Klischee, als würde davon nicht nur deren Männlichkeit abhängen, sondern auch ihr Rang in der Schulgemeinschaft. Ich war kein beliebtes Kind. Alle Jungs in meiner Klasse bestanden so gut wie jede Sportstunde auf Fußballspielen. Sobald dieser Wunsch bei meiner Sportlehrerin veräußert wurde, krampfte mein Bauch vor Angst, die Hände wurden schwitzig. Aus mir nicht erklärbaren Gründen gab meine Sportlehrerin dem Druck dieses Wunsches fast immer nach. Vielleicht lag da aber erneut eine Chance für mich. Vielleicht war ich nicht der größte Renner oder der beste Torwart, aber dafür ein guter Teamplayer. Am Ende konnte ich wenigstens das gewinnen. So war ich also nie wütend, dass ich bei der Teamauswahl immer als Letzter genommen wurde. Teamplay bedeutet, das Beste für seine Mannschaft zu wollen. Bei einem war ich mir schon damals sicher, das Beste war ich sicher nicht. Der Schatten meines Vaters war sichtlich enttäuscht darüber, dass ich die letzte Wahl war. Überrascht allerdings nicht, denn ich musste auch seine letzte Wahl gewesen sein. Dennoch, vielleicht war meine Zeit gekommen. „Habt ihr das gesehen? Mein Sohn, der beste Teamplayer im Fußball. Mein Sascha. Jemand, der alles für sein Team geben würde. Seinetwegen haben sie gewonnen.“ Doch auch hier wurde nur enttäuscht. Genauso wie ich im gesamten Schulalltag keine Aufmerksamkeit meiner Mitschüler:innen geschenkt bekommen hatte, blieb mir diese auch im Sportunterricht aus. Der Ball wurde mir nie zugespielt, wobei ich nie gedacht hätte, diese Tatsache würde mich erneut so verletzen.

In der Umkleide danach, dem „männlichsten“ aller Orte, hörte ich wieder diese beschissene Frage: "Wie, du kannst kein Fußball spielen?"

Sommer. 2015. Eine Saison spielte schon lange keine Rolle mehr in meinem Leben.

Eine Scheidung und einige Jahre ohne den mich zum Mann machenden Mann später fand ich mich in einer neuen Chance wieder. „Jungs, lasst Bolzplatz treffen und Hochhalten spielen“, höre ich meine Freunde noch heute. Schon wieder stand er da, sein enttäuschter Blick auf mich gerichtet. Mein Vater. Vielleicht war ich einfach nicht der größte Renner, der bester Torwart oder der erfolgreichste Teamplayer, aber am Ende war die Technik meins. Wie schwer konnte es sein, einen Fußball mit dem Fuß so lange wie möglich in der Luft zu halten? Schwer, das weiß ich heute. Von weitem sah ich meinen besten Freund Daniel mit dem Ball in der Hand. Dieser Ball, der schon für so viel Verlieren in meinem Leben gestanden hatte. Doch hier war meine Chance. Wieder das Bild vor meinem inneren Auge, mein Vater, biertrinkend. „Habt ihr das gesehen? Mein Sohn hat mit seinen Jungs den Ball unzählige Minuten geschafft hochzuhalten. Mein Sascha. Seinetwegen konnte dieses Spiel gewonnen werden.“ Angst überkam mich und ich verlor die Verbindung zu mir selbst. Alle Jungs um mich herum gewannen mit jeder neuen Sekunde etwas. Selbstvertrauen. Mut. Kraft. Körperlichkeit. Fitness. Männlichkeit. Neiderfüllt bewunderte ich die Leichtigkeit, die meine Freunde ausstrahlten. Die Freiheit, die sie gewannen. „Wow Jungs, was ist das für eine Runde. Safe wir haben den schon zehn Minuten lang in der Luft gehalten“, hörte ich Daniels stolze Stimme. Der Ball flog mir entgegen, mich packte die Angst. Ein jämmerlicher Luftkick. Nichts von meinem Körper, geschweige denn von meinem Geist, hatte diesen Ball berührt. Er kullerte mit meiner Chance auf Gewinnen weg. Mein Vater verschwand.

Dann kam erneut dieser Satz. Diesmal von den neuen Männern in meinem Leben: "Wie, du kannst kein Fußball spielen?"

Wo beginnt Männlichkeit heute, und wo hört sie auf?

Meine gesamte Jugend wurde ich mit dem Verlieren konfrontiert. All meine Zweifel im Bezug auf Männlichkeit haben ihren Ursprung in diesem runden Objekt. Lächerlich und kleinlich, glaubt ihr? Eventuell. Doch wie hätte ich diesem Bild von Männlichkeit nur jemals gerecht werden können? Wie hätte ich meinem Vater jemals gerecht werden können? Jemand wie ich, der Blumen liebt, insbesondere die, die auf den freiliegenden Bolzplätzen meiner Jugend wuchsen. Jemand wie ich, der lieber zum Salsa geht, als in einer Kneipe Fußball zu schauen. Jemand wie ich, der Klamotten und shoppen gehen vergöttert. Jemand wie ich, der sich weder mit Fußball noch mit irgendeiner anderen Sportart identifizieren kann. Wo beginnt Männlichkeit heute, und wo hört sie auf? Fragen, die mein von Verlieren geprägtes Ich wohl nie beantworten kann. Fragen, die ich wahrscheinlich nicht einmal beantworten will. Fragen, deren loses Ende mich schließlich zu dem gemacht haben, der ich bin.

Was ist das mit Vätern und Fußball? Ignoriert meiner den Drang einen Draht zu mir zu erzwingen oder den Draht selbst? Oder ist es am Ende doch nur wieder das Gewinnen? Fragen über Fragen, auf die mir immer noch keine Antwort einfällt. Kann ich jemals eine Antwort auf die wichtigste aller Fragen finden? Wie, du kannst kein Fußball spielen?

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