Nele Brombach
Artikel von Nele Brombach
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 262.200 Menschen als wohnungslos vermerkt. 37.400 von ihnen leben auf der Straße (Link). Damit sind rund 33 von 10.000 Personen in Deutschland obdachlos. In unserem Nachbarland Österreich sind es nur 22 von 10.000 (Link). Finnland erreicht einen Wert von sieben Obdachlosen auf 10.000 Einwohnern (Link).
Trotz dieser erschreckenden Zahlen erlebt man immer wieder, dass obdachlose Menschen auf der Straße herablassend behandelt werden oder ihnen sogar mit Gewalt begegnet wird. Ihnen wird das Recht abgesprochen, Hilfe zu benötigen. In Deutschland müsse ja niemand auf der Straße leben.
Die Sorge um und für andere Menschen ist das Gerüst unserer Gesellschaft. Ohne Care-Arbeit würde das soziale Konzept nicht funktionieren. Und trotzdem schenken wir ihr so wenig Aufmerksamkeit, stufen sie oftmals sogar als unwichtig ein.
Bei der Sorgearbeit geht es auch, aber nicht nur um die Aufgaben, die im Haushalt anfallen. Es geht um eine organisatorische und tiefe mentale Unterstützung für die Menschen in unserem Umfeld. Es geht um die Betreuung und Sorge für Kinder, Jugendliche, alte, behinderte und kranke Menschen, die über den Tod hinausgeht.
Wenn man an die Chromosomenstörung Trisomie 21 denkt, kommen einem oft Plakate, Zeitschriften-Cover oder Filme in den Sinn, auf denen Menschen mit einem strahlenden Gesicht abgelichtet sind. Googelt man das Down-Syndrom, wird man überhäuft mit Bildern von Menschen, die absolute Lebensfreude verkörpern. Was folgt ist ein kurzer Moment der Freude, in dem man versucht, etwas von diesem Glück für sich selbst zu speichern. Und dann ist der Film zu Ende, die Zeitschrift doch wieder im Regal gelandet, der Laptop geschlossen – und man behält diese euphemistische Darstellung irgendwo in seinem Gedächtnis.
Vor wenigen Wochen bin ich aus meinem Auslandsjahr in Norwegen zurückgekehrt, wo ich als Au Pair bei einer alleinerziehenden Mutter von vier Töchtern gelebt und gearbeitet habe. Bei der zweitjüngsten (zu der Zeit 8 Jahre alt), ist Down-Syndrom und ADHS diagnostiziert worden. Vor allem zu Beginn hatte ich großen Respekt vor der Verantwortung, noch dazu ohne ein Wort Norwegisch zu sprechen. Doch ich erkannte schnell die Liebe und Einfühlsamkeit, die dieses kleine Mädchen ihren Mitmenschen schenkte. Am Esstisch achtete sie immer darauf, ob jemand noch etwas brauchte und die Frage, ob sie helfen könne, lag ihr immer auf den Lippen. Wenn ich Heimweh hatte, mir alles zu viel wurde, spürte sie es sofort, sah mich an und sagte: “Du musst nicht traurig sein”. Dann nahm sie mich in den Arm, streichelte meinen Kopf. “Damit es schnell nicht mehr so weh tut”, sagte sie dann.